Misstrauen ist angebracht

Im Schweiße meines Angesichts

Friedrich Engels sagte, der Mensch werde zum Menschen in seiner Arbeit. Psychologen behaupten, von Arbeitslosigkeit werde man depressiv. In Wirklichkeit sollte man die Finger von Arbeit lassen: Wenn man einmal damit anfängt, hört sie nicht mehr auf.

Wieder einmal sitze ich da, soll eine Glosse schreiben, und mir fällt nichts ein. Jedenfalls nichts glossenwertes. Die heuer ja wenig hitzige Sommerhitze vielleicht? - Wenig originell, nach den Jahrtausenden, in denen die Menschheit hauptsächlich vom Wetter redet.

Das übrigens ist durch wissenschaftliche Studien belegt. Zählt man die Sprechsekunden exakt nach, zeigt sich: Übers Wetter reden die Menschen mehr als über jedes andere Thema. Inklusive (!) der nur vermeintlich alles beherrschenden Sujets Liebe und Sex. Freud hatte Unrecht.

Das gibt jedenfalls nichts her. Was liegt sonst an? Das dankbare Glossenobjekts Fußball haben sich schon andere angeeignet, in großer und übergroßer Zahl. Von Schriftstellern und erhabenen Germanistik-Professoren bis hin zu den Zeitungsschreibern. Von jenen aus den elfenbeinernen Türmen der Gelehrsamkeit bis zu diesen aus den Tallagen des Tagesjournalismus. Was soll ich da noch beisteuern?

Wobei übrigens auch beim Fußball viel vom Wetter die Rede ist: Den Kickern ist entweder zu heiß, oder ihnen ist zu kalt, um ihrer Arbeit nachzugehen. Manchmal ist es auch zu feucht. Dann wieder zu windig. Geht wiederum kein Wind, wird geklagt, kein Lüftchen kühle die erhitzten Ballestererkörper. Und so weiter. Wie immer das Wetter ist, es hindert den Fußballer daran, seine Arbeit zu erledigen.

Andererseits, zugegeben, wenn man im Zimmer sitzt, vor Wind und Wetter geschützt, und der Arbeit des Glossenschreibens nachgeht, hat man leicht reden.

So greife ich auf der Suche nach Inspiration wieder einmal zu einem Buch. Warum nicht zur Bibel? Ich bin sonst nicht so bibelfest, aber wenn man eine Glosse schreiben soll, und es fällt einem nichts ein... Wie heißt's so schön? - In der Not frisst der Teufel Fliegen.

"Im Schweiße deines Angesichts sollst Du Dein Brot essen", steht dort zu lesen. Wie wahr, denke ich, vor allem, wenn man sein Brot dem Schreiben von Glossen verdankt. Natürlich, es ist übertrieben, wie in der Bibel fast alles. Brot ist hier und heute nicht der Kern des Problems. 40 Kilogramm davon landen in Wien pro Jahr und Einwohner im Müll, entnehme ich einer wissenschaftlichen Studie. Da gibt's also Reserven.

Das Problem ist die oft zitierte "Butter auf dem Brot", etwa: das dringend benötigte neue Notebook - benötigt zum Schreiben von Glossen. Das fällige Service fürs Auto - das ich brauche, um ins Büro zu fahren und dort Glossen zu schreiben. Die wöchentliche Sportstunde im Fitness-Center - dazu gut, mich vom Glossenschreiben zu erholen. Verbrächte ich meine Tage nicht mit dem Schreiben von Glossen im Bürostuhl, bräuchte ich auch kein Fitness-Center, wo man meine verkümmerte Rückenmuskulatur wieder in Form bringt.

Meine Arbeit dient, nüchtern betrachtet, bloß dazu, mir weitere Arbeit aufzuhalsen. Anders gesagt: Würde ich aufs Arbeiten verzichten, könnte ich mir die ganze Arbeit sparen.

Natürlich wären dann auch mein Trainer im Fitnesscenter und mein Automechaniker arbeitslos, ebenso der Verkäufer im Elektromarkt, der mir demnächst ein neues Notebook-Modell anpreisen wird. Vielleicht nicht zu ihrem Nachteil: Wir könnten uns alle auf ein Bier treffen und Spaß haben.

Man sieht, Arbeit ist eigentlich idiotisch. Früher wussten das die Leute auch. Über Jahrtausende hinweg, eigentlich seit 180.000 Jahren, so lange der Homo sapiens diesen Planeten bevölkert, war allen klar, dass Arbeit öde und Arbeitslosigkeit ein höchst anstrebenswerter Zustand ist. Das Programm der Menschheit bestand ja förmlich darin, die Arbeit los zu werden, sie sonst wem aufzubürden.

Ich erinnere noch einmal an die Bibel: "Im Schweiße deines Angesichts..." Damit kann ja nur gemeint sein, dass Arbeit nichts Angenehmes ist. Laut Bibel ist sie sogar ein Fluch, wenn ich mich recht erinnere, die Strafe Gottes für irgendwelche Sünden. So weit will ich nicht gehen, ich bin kein Theologe und verstehe von Sünden wenig, aber eines stimmt ohne Frage: Arbeit ist eine Qual.

Noch im 19. Jahrhundert: Die wenigen, die es für sich geschafft hatten, arbeitslos zu sein, galten als privilegiert. Wenn da jemand auf die Frage, was er denn arbeite, antwortete: "Nichts!", dann war das absolut respektabel. Damit war er hoch angesehen, sowohl in der Männer- wie in der Damenwelt.

Heute hingegen kann man sich als Arbeitsloser kaum mehr auf der Straße zeigen. Zeitungen feiern den Rückgang der Arbeitslosigkeit, wenn er denn eintritt, als Erfolg. Heutzutage, wo die Arbeit tatsächlich in großem Stil reduziert werden könnte, wird Arbeitslosigkeit seltsamerweise zum Unglück erklärt. Verdrehte Welt.

Nun gut. Mit dieser Erkenntnis stelle ich meine Glossenarbeit auf der Stelle ein und widme mich für den Rest des Tages dem Müßiggang. Wenn Sie mehr wissen wollen: Sie treffen mich im nächsten Biergarten.

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