Oksana Sabuschkos Sprach-Fluss

Feldstudien über ukrainischen Sex

Oksana Sabuschko ist die wichtigste Schriftstellerin der heutigen Ukraine. In ihrem neuen Text mit dem bewusst provokant gewählten Titel geht es zwar um Sex, allerdings mehr um die Abrechnung einer Frau mit einem eher unerfreulichen Mann.

Die 1960 geborene Autorin Oksana Sabuschko lebt heute wieder in Kiew. Ab Mitte der 80er Jahre publizierte sie in ihrer Heimat eine Reihe von Lyrikbänden, zu Beginn der 90er war sie als Stipendiatin für längere Zeit in Harvard und Pittsburgh.

Diese Amerika-Aufenthalte bieten den notwendigen Hintergrund für den Prosaband "Feldstudien über ukrainischen Sex". Schon vor seiner erstmaligen Publikation Mitte der 90er Jahre kursierte das Buch in der Ukraine als Raubdruck und machte den Namen der Autorin schlagartig berühmt.

Zwischen intimer Beichte und öffentlichem Vortrag

Einfach zu übersetzen war der Text mit Sicherheit nicht: Sabuschko bedient sich in ihm eines radikalen Stils, dessen Tonfall ständig zwischen demjenigen einer intimen Beichte und dem Duktus eines öffentlichen Vortrages changiert. Neben zahlreichen anderen Sprechformen verweist der Roman aber vor allem auch auf die ukrainische Volksdichtung. Zahlreich sind die Anspielungen auf alte Lieder, Gedichte und Sprichwörter. Die deutsche Übersetzung verweist darauf in Fußnoten. Dies stört zwar den Fluss der Lektüre, ließ sich aber kaum anders machen.

Tatsächlich ist es ein Sprach-Fluss, der einem in den "Feldstudien über den ukrainischen Sex" entgegenschwappt. Dieser Fluss ist vielleicht nicht ganz so wirkmächtig wie bei Elfriede Jelinek, und er ist auch nicht so poetisch wie bei Friederike Mayröcker. Auf der mittleren Lage, auf der er sich bewegt, ist er aber nicht weniger mitreißend.

Sex und Politik

Den Ausgangspunkt bietet die Abrechnung mit einem Mann - einem ukrainischen Maler, Bildhauer und Macho, zu dessen - wie es im Buch wörtlich heißt - "unglücklichem Sexualopfer der nationalen Idee" die Autorin einst geworden ist.

Sex und Politik, und dabei das Aufwachsen unter Sowjet-Verhältnissen ebenso wie die ersten zarten orange Freiheitsideen, laufen in dieser seltsamen Wortbildung ineinander, und sie tun das in Sabuschkos Buch durchgängig und programmatisch. Der Ort, an dem man - und richtig müsste es heißen: an dem frau - all das zu spüren bekommt, ist der eigene Körper. Das Ergebnis der diesbezüglichen "Feldstudien" fällt ernüchternd aus. So sehr es diese Frau nämlich danach dürstet: Sex mit Männern wie dem eigenen macht ihr absolut keinen Spaß, ja weniger noch: Es tut weh, von ihm stets nicht anders als richtiggehend "durchgefickt" zu werden.

Titel als Provokation

Die Sprache, in der Sabuschko diese Erfahrungen beschreibt, ist stets explizit, und es müsste ihr Buch in den heutigen USA vielleicht gar mit einem "triple X" gekennzeichnet werden. Das akademische amerikanische Umfeld, in dem sich die Autorin einige Jahre lang bewegt hat, gibt jedenfalls mit den Hintergrund für die spezielle Form des Textes ab. Ausgangspunkt ist eine Einladung zu einem Vortrag, die die Autorin erhielt. Als Titel fiel ihr spontan - und wohl auch als Provokation des prüden Umfeldes - der Titel des späteren Buches ein: "Feldstudien über ukrainischen Sex".

Kampf mit "geilen" Klischees

An vielen einzelnen Stellen und über viele Seiten hinweg unternimmt das Buch den reizvollen Versuch, die Vortragssituation zu simulieren. Mit literarischen Mitteln wird erprobt, wie es wohl wäre, das Thema in einem solchen Rahmen zu erörtern. Auf Seite 127 klingt das beispielsweise so:

Ich möchte darauf hinaus, Ladies und Gentleman, dass man ja weiß, wie geil das ist, zu einem geschlagenen Volk zu gehören.

Die Ukrainer - ein geschlagenes und hoffnungsloses Volk - und sie selbst - eine leid- und schmerzgeprüfte Schriftstellerin, die mit ihrer dunklen Schwermut unter den ewig positiven Amerikanern wie ein schwarzes Tuch wirkt - das sind die "geilen" Klischees, mit denen Sabuschko zu kämpfen hat. Zu Hause, also in der Ukraine, so schreibt sie, sei sie von einem "bescheuerten Kritiker" einmal gar als die "Dichterin des empfindsam tragischen Weltgefühls" bezeichnet worden.

Eigenständiger Weg gesucht

Um hier nicht selbst als völlig bescheuert zu erscheinen, möchte ich nicht ganz so weit gehen. Ein klein wenig wird man dem Kollegen aus der Ukraine aber wohl doch Recht geben müssen, und dies vor allem auch dann, wenn man sich die Gedichte ansieht, die Sabuschko etwas unvermittelt in ihren Text stellt. Eines von ihnen endet mit der Zeile: "Und keiner ist da, der versteht, in welcher Sprache du schreist..."

Um zu verstehen, was mit den "Feldstudien über ukrainischen Sex" gesagt ist, hätte es solcher Pathos-Formeln eigentlich nicht mehr bedurft. Zu eigener Lektüre soll dieses Buch dennoch empfohlen sein: Es ist ungeheuer kraftvoll und sucht zwischen allen Fronten, die zwischen Ost und West und Mann und Frau liegen, einen eigenständigen Weg, der auch formal hoch spannend und interessant ist.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipp
Oksana Sabuschko, "Feldstudien über ukrainischen Sex", aus dem Ukrainischen übersetzt von DAJA, Droschl Verlag, ISBN 3854207018