Im Gespräch: Lisbeth Kraus-Rock und Peter Kutsche
Bewohner der Berggasse 19
Dieses Gespräch hat an einem besonderen Ort stattgefunden. Nämlich in Wien, im neunten Wiener Gemeindebezirk, und zwar in der Berggasse 19, in den Räumen der ehemaligen Praxis des Begründers der Psychoanalyse, Sigmund Freud.
8. April 2017, 21:58
Bewohner der Berggasse 19
Im Herbst 2003 hat das Team des Sigmund Freud Museums gemeinsam mit namhaften Historikern und Historikerinnen die Geschichte des Hauses Berggasse 19 und seiner Bewohner recherchiert und nachgezeichnet. Und zwar die Jahre der Naziherrschaft 1938 bis 1945.
Zwei Menschen, die die Geschichte des Hauses Berggasse 19 verkörpern - und wohl auch vieler Hausgemeinschaften im damaligen Wien - haben damals zusammen mit Michael Kerbler an einem Tisch in Freuds einstiger Praxis Platz genommen: Lisbeth Kraus-Rock, geborene Hauser, die in die USA emigrieren konnte, und DI Peter Kutsche, der nach wie vor im Haus Berggasse 19 wohnt.
Michael Kerbler: Frau Kraus-Rock, Sie sind 1923 im Alter von vier Jahren mit Ihren Eltern und den Brüdern hierher in die Berggasse gezogen. Können Sie sich noch an Ihre ersten Eindrücke erinnern?
Lisbeth Kraus-Rock: Ich kann mich erst erinnern, als sich schon in die Volksschule gegangen bin. Ich habe eine beste Freundin dort gehabt. Und was mir später sehr Eindruck gemacht hat - wenn ich jetzt zurück denke - ist, dass wir in der Volksschule jüdische Unterrichtung gehabt haben.
Sie haben Hebräisch gelernt? Wer hat Ihnen das beigebracht?
Ich glaube, es war ein Rabbiner. Aber wenn ich jetzt daran denke, dass das damals so war, dass man hebräische Unterrichtung in der Volksschule gehabt hat, ist das eine phantastische Sache! Ich bin später ins Gymnasium in der Albertgasse gegangen, und dort hat man auch Hebräisch unterrichtet.
Sie sind heute wieder in dieses Haus Ihrer Kindheit gekommen. Hat sich das Haus verändert?
Nein, äußerlich nicht. Nur in der Wohnung, wo ich gewohnt hab, hat es sich verändert. Aber der Eingang und alles ... Es schaut alles genau so aus, wie ich mich erinnern kann.
Sie haben in einer Wohnung im 1. Stock gelebt. Können Sie sich an Sigmund Freud erinnern? Sie haben ja zur gleichen Zeit im Haus gewohnt.
Ja. Ich hab ihn auf der Stiege getroffen. Wir haben einander begrüßt. Aber wir haben natürlich nicht miteinander gesprochen. Ich war doch ein junges Mädel. Und ich war ein bisschen scheu ... Wie ich schon ein bissl älter war, und wir haben Gesellschaft gehabt, und wir haben Musik gespielt und getanzt, haben wir gefürchtet, dass es ihn vielleicht stören wird. Aber niemand hat sich beschwert.
Herr Kutsche, Sie leben heute in jener Wohnung, die Frau Burlingham bewohnt hat, als sie mit ihren Kindern nach Wien gekommen ist, um ihren Buben von Anna Freud behandeln zu lassen. Wann sind Sie das erste Mal darauf gestoßen, dass hier eine doch prominente Psychiaterin, die ja auch Mitglied der Wiener Psychiatrischen Gesellschaft geworden ist, und die übrigens die Tochter des weltberühmten Juweliers Tiffany war, hier gewohnt hat?
Peter Kutsche: Ja, das ist richtig. Wir sind im Mai 1940 eingezogen. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich keine Ahnung hatte - und ich glaube auch meine Eltern nicht - wer Frau Burlingham war. Und noch viel weiter möchte ich gehen, dass ich zu der Zeit jedenfalls, und auch bis zum Kriegsende, mit dem Namen Freud nichts anfangen konnte. Erst mit dem Ersten Psychiatrischen Kongress, der in Wien stattgefunden hat, haben wir uns ein bisschen mehr beschäftigt und es ist uns mehr zu Bewusstsein gekommen, wer hier gewohnt hat. Hier war Sigmund Freud.
Sie sind mit zehn Jahren hier eingezogen. Ursprünglich haben Sie mit Ihren Eltern in Mauer bei Wien gelebt. Wie sind Sie in die Berggasse 19 gekommen?
Das weiß ich noch. Wir bekamen über das Wohnungsamt die Wohnung der Frau Burlingham zugewiesen. Es war eine völlig leere Wohnung, mit Ausnahme eines großen Einbauschrankes, den man sicherlich nicht mitnehmen kann. Und im zweiten Zimmer ist noch ein offener Kamin gestanden, der allerdings nie funktioniert hat ...
Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 18. Mai 2006, 21:01 Uhr
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