Eng verbunden

Politiker als Literaten?

In keinem anderen Gebiet gibt es eine derart enge Bindung zwischen Politik und Literatur wie in Lateinamerika. Seit dem 19. Jahrhundert verzeichnen die Lexika etwa 250 Botschafter, Abgeordnete, Minister und Präsidenten, darunter sehr bekannte Namen.

Die Liste der schreibenden Politiker und Schriftsteller in der Politik ist lang. Auf ihr stehen unter anderen die chilenische Lyrikerin und erste Literaturnobelpreisträgerin Lateinamerikas Gabriela Mistral. Sie war für den Völkerbund tätig, engagierte sich in Mexiko an der Schulreform und wirkte im diplomatischen Dienst in verschiedenen Ländern Europas und Amerikas.

Der Brasilianer Jorge Amado, dessen lebensfrohe Romane vor allem das Leben der afrobrasilianischen Gemeinschaft schildern, war Abgeordneter der Kommunisten, ebenso wie der proindianische peruanische Autor Ciro Alegría, der zwei Mordanschläge durch die Geheimpolizei des Diktators Benavides überlebte, und dessen Leben von Aufruhr, Gefängnis und Exil geprägt war. Auch Ernesto Cardenal, der bis 1990 Kulturminister der sandinistischen Regierung Nicaraguas war, konnte einige Male den Killern seiner politischen Gegner entkommen.

Literaturnobelpreisträger im Exil

Relativ kurz war die diplomatische Karriere von Guillermo Cabrera Infante, der 1962 zum kubanischen Kulturattaché in Belgien ernannt wurde. Drei Jahre später legte er sein Amt nieder und ging ins Exil. Auch Carlos Fuentes verließ nach heftigen Angriffen auf die mexikanische Regierung wegen der blutigen Unterdrückung der Studentenunruhen den diplomatischen Dienst und ging für drei Jahre ins Exil. Genauso pendelte der als Diplomat für Guatemala tätige Miguel Angel Asturias, Literaturnobelpreisträger des Jahres 1967, zwischen Vaterland und Exil.

Joao Guimaraes Rosa war als brasilianischer Konsul in Hamburg tätig, als Brasilien Deutschland den Krieg erklärte, worauf ihn die Nazis so lange als Geisel festhielten, bis er gegen deutsche Diplomaten ausgetauscht wurde. Seine politisch-diplomatische Karriere brach er deshalb aber nicht ab: 1951 wurde er Botschafter Brasiliens bei der UNESCO. Relativ ruhig verlief die diplomatische Karriere von Jorge Icaza aus Ecuador, der seine letzten Jahre als Botschafter in der UdSSR verbrachte.

Vom Militär verjagt

Der Venezolaner Rómulo Gallegos, der auf Grund seiner farbenprächtigen und sozialkritischen Romane oft als Wegbereiter für das literarische Schaffen von Gabriel García Márquez genannt wird, begann seine politische Karriere mit der Ablehnung eines Senatorenpostens unter dem Diktator J. V. Gomez, worauf er bis 1936 im Exil in Spanien lebte. Nach seiner Rückkehr wurde er vom neuen Regime zum Erziehungsminister ernannt, aber nach drei Monaten legte er dieses Amt zurück: Die Regierung war ihm zu reaktionär. Auch als Präsident seiner eigenen Partei blieb er nur neun Monate im Amt, dann wurde er im November 1948 von einem durch die USA unterstützten Militärputsch gestürzt.

Auch Juan Bosch, der nach dem Sturz der Trujillo-Diktatur - die von Mario Vargas Llosa in seinem Roman "Das Fest des Ziegenbocks" seziert wurde - 1962 mit überwältigender Mehrheit zum sozialliberalen Präsidenten der Dominikanischen Republik gewählt wurde, wurde vom Militär ins Ausland gejagt.

Umstrittener Pablo Neruda

Höchst umstritten als Politiker ist zum Beispiel Pablo Neruda. Er war seit 1927 im diplomatischen Dienst tätig, konnte von Paris aus einigen tausend Menschen, die vor dem Bürgerkrieg in Spanien flüchteten, helfen. 1969 war er Präsidentschaftskandidat der KP, von 1970 bis 1973 Botschafter in Paris. Den Putsch in Chile und die anschließenden Demütigungen durch die Junta hat er nicht lange überlebt.

Man solle Neruda von seinem Sockel herunterholen, meinte Victor Farias, der die kritische spanische Gesamtausgabe seines Werks betreute. Pablo Neruda wäre zwar ein "kolossaler Dichter", aber auch ein "militanter Stalinist" gewesen, und er zählt auf: Neruda habe "Kollegen denunziert, antisemitische Sprüche geklopft und seine erste Frau mit dem gemeinsamen behinderten Kind in dem von den Nazis besetzten Amsterdam zurückgelassen". Außerdem hätte er in Mexiko bei der Ermordung Trotzkis seine Finger im Spiel gehabt.

Mario Vargas Llosas Niederlage

Genauso umstritten ist das politische Engagement von Mario Vargas Llosa, dessen Abkehr vom Kommunismus viele Genossen verärgert hat. Er schwor, nachdem er die Stichwahl um die Präsidentschaft gegen Alberto Fujimori verloren hat, sich nicht mehr um ein politisches Amt zu bemühen. Stillschweigen ist in diesem Entschluss allerdings nicht mit einbegriffen. "Dass man sich der Literatur verschrieben hat", sagte er 2001, "ist kein Grund, seine Meinung über die politischen Verhältnisse für sich zu behalten."

Untrennbar verbunden

Überhaupt könne man Literatur und Politik nicht trennen, meint der Autor und ehemalige Vizepräsident der sandinistischen Regierung Nicaraguas Sergio Ramirez. "Denn das öffentliche Leben hat einen großen Einfluss auf das Privatleben. Es ist beinahe unmöglich, eine Liebesgeschichte in einem Schlafzimmer zu erzählen, ohne den Lärm der Straße zu berücksichtigen. Der Lärm eines Aufruhrs, einer Revolution dringt immer durch das Fenster ein. Privatsphäre und öffentlicher Raum sind zu eng miteinander verbunden, als dass der Schriftsteller den öffentlichen Raum ignorieren könnte."

Ähnlich dicht verwoben ist Literatur und Politik für die in jungen Jahren als Guerillera engagierte Gioconda Belli. Als sie seinerzeit aus der sandinistischen Bewegung aussteigen wollte, gaben ihr diese Worte zu denken: "Du musst für deine Tochter kämpfen. Denn wenn du nicht kämpfst, überlässt du alles deiner Tochter. Hätten deine Eltern gekämpft, könntest du heute mit deiner Tochter in Frieden leben."

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Elfenbeinturm.net - Interview mit Sergio Ramirez