Teilerfolge des Volkes nach Generalstreik
Nepals langer Weg zur Demokratie
Nach wochenlangen Protesten hat der nepalesische König eingelenkt. Das wieder einberufene Parlament hat getagt, die ersten Minister sind ernannt. Ob das den Volkszorn besänftigt, ist noch nicht abzusehen. Rufe nach Abschaffung der Monarchie werden laut.
8. April 2017, 21:58
König Gyanendra bei seiner TV-Ansprache
Nach mehr als zwei Wochen des Generalstreiks mit täglichen Demonstrationen Anfang April 2006 gab der nepalesische König Gyanendra ein entscheidendes Stück nach. In einer TV-Ansprache an die Nation verkündete er, dass die Exekutivgewalt von ihm nun wieder in die Hände des Volkes gelegt werde. Nach vier Jahren setzte er somit das aufgelöste Parlament wieder ein, in dem die Opposition das Sagen hat.
Es war ein großes Zugeständnis des Monarchen, doch nicht die von den Politikern und Demonstranten erhoffte totale Niederlage, denn seine Position als Armee-Oberbefehlshaber gab er damit nicht auf. Daher bleibt die Lage am Dach der Welt weiterhin instabil.
Das Volk bleibt misstrauisch
Obwohl die Freude nach dem Einlenken des Königs groß war, ist im Volk nach wie vor das Misstrauen zu spüren. Der Monarch hat zwar die Regierungsmacht an das Oppositionsbündnis abgetreten, weitere zentrale Forderungen der Opposition sprach er aber nicht an: kein Wort von Friedensgesprächen mit den maoistischen Rebellen, die seit November das Oppositionsbündnis unterstützen; kein Wort auch über die Forderung nach einer Verfassungsversammlung, die möglicherweise die Monarchie beenden könnte.
Zu oft schon wurde das Volk in den letzten 15 Jahren von der Handlungsweise seiner Machthaber bitter enttäuscht. 1990 erst hatten Volk und Parteien dem damaligen allmächtigen Monarchen Birendra eine demokratische Verfassung abgetrotzt. Doch rasch taumelte damals die konstitutionelle Demokratie in die Krise. Parteienzank, Misswirtschaft, Untreue und Bestechung zerstörten die Hoffnung des kleinen, bitterarmen Himalaya-Volkes auf Fortschritt und Entwicklung. Der blutige Kampf zwischen maoistischen Rebellen und Sicherheitskräften ließ in der Folge alle Hoffnung auf Frieden schwinden.
Der autokratische König
Als König Gyanendra 2001 nach dem blutigen und rätselhaften Palast-Massaker an die Macht gekommen war, galt er von Beginn an als demokratiefeindlich, als autokratisch. Bald bestätigte sich das Vorurteil. Gyanendra erklärte mehrfach den Ausnahmezustand, ließ seine Armee massiver gegen die Maoisten vorgehen, entließ Premierminister nach Gutdünken, versprach Wahlen und Frieden, erreichte aber letztendlich nichts von alledem. Das zaghafte Zugeständnis des Königs Anfang April dieses Jahres heizte die Protestbewegung nur noch weiter an, bis die Lage eskalierte.
Tag für Tag waren die Menschenmassen vor dem Einlenken des Königs auf die Straßen gegangen. Erst in den Provinzen, dann in der Hauptstadt Kathmandu. Erst waren es Tausende, am Ende Hunderttausende Demonstranten, die die Wiederherstellung der Demokratie uind die Entmachtung von König Gyanendra forderten und ihn schließlich zum Nachgeben zwang.
Opposition am Zug
Nach dem erfolgreichen Generalstreik ist nun die oppositionelle Siebenparteien-Allianz am Zug. Alle müssen jetzt zusammenarbeiten, ihre Rolle spielen: der König, die maoistischen Rebellen, die etwa die Hälfte Nepals mittlerweile unter Kontrolle haben, und die internationale Gemeinschaft. Doch die größte Last liegt zweifelsohne bei den Parteien. Diese wagten schon im November vergangenen Jahres einen historischen Schritt, als sie mit den Maoisten-Rebellen ein gemeinsames Programm beschlossen. Oberstes Ziel: das Ende der autokratischen Herrschaft des Königs. Seitdem rückten die Maoisten der Macht Stück für Stück näher.
Nach dem Einlenken des Königs zeigte sich aber rasch, wie schwer es die lose Allianz der Maoisten und Parteien künftig haben werden. Während die Führer der Oppositionsparteien jubelten, zeterte Rebellenführer Prachanda zunächst. Er bezeichnete die Wiedereinsetzung des Parlaments durch den König als Heuchelei, wollte sofort Zusagen für eine Verfassungsversammlung, kritisierte die Partreien und drohte mit weiteren Blockade-Aktionen.
Demokratiefähigkeit beweisen
"Wenn in den kommenden Monaten irgendetwas passiert, was mit der Vereinbarung zwischen Maoisten und Parteien nicht übereinstimmt, dann hätten die Maoisten das legitime Recht zu sagen: Ihr habt etwas getan und uns nichts davon gesagt. Ebenso kann auf Seite der Maoisten etwas passieren, mit dem die Parteien nicht einverstanden sind", meint Politikwissenschaftler Sukh Deo Muni. Die Herausforderung sei die Gemeinschaft von zwei sehr unterschiedlichen Kräften. Maoisten und Parteien sollten nicht selbstgefällig meinen, die Bevölkerung beobachte sie nicht: "Beide müssen jetzt ihren gemeinsamen Plan umsetzen, auf den sie sich ja bereits geeinigt haben", betont der Nepal-Experte.
Beweisen müssten die Maoisten auch ihre Demokratiefähigkeit während der geplanten Wahlen zu einer Verfassungsversammlung. Diese Wahlen könne es nur ohne Gewalt geben, so Sukh Deo Muni: "Später einmal wollen die Rebellen nach eigenem Bekunden die Waffen niederlegen und ihre Kämpfer möglicherweise in die nepalesische Armee integrieren. Doch so weit ist man noch lange nicht. Daher soll ein Friedensprozess die maoistischen Rebellen und die staatlichen Sicherheitskräfte zunächst wenigstens zu einer Art Stillhalte-Abkommen bringen - mit dem ersten wichtigen Etappenziel: freie, friedliche Wahlen zur Verfassungsversammlung".
Die Rolle der Internationalen Gemeinschaft
Auch die Haltung der Internationalen Gemeinschaft wird sich künftig ändern müssen. Sukh Deo Muni dazu: "Sie wollte und will immer noch den König bewahren. Das ist eine Beleidigung der nepalesischen Bevölkerung. Innerhalb von nur 24 Stunden nach der Ankündigung des Königs forderte etwa die US-Regierung eine zeremonielle Rolle für den König. Doch das Volk spricht von einer Republik".
Die Internationale Gemeinschaft sollte nach den Worten des Politexperten ihre Haltung ändern. Die Maoisten zu dämonisieren, sei nicht hilfreich. Denn diese militante Gruppe wolle ja ins Parteiensystem kommen. Wenn die internationale Gemeinschaft aber sage, sie wolle mit den Maoisten nichts zu tun haben und sie weiter an den Rand dränge, dann bereite das Schwierigkeiten für die Entstehung eines neuen Nepal, so Sukh Deo Muni.
Zum Erfolg verdammt
Den Politikern im Land steht jedenfalls eine harte Arbeit bevor. Die Opposition ist zum Erfolg verdammt. Geführt wird die neue Allparteien-Regierung von Girija Prasad Koirala, dem großen alten Mann der nepalesischen Politik. Der greise Chef der Kongresspartei war bereits viermal Premierminister und ist damit Symbol für die politische Instabilität des Landes seit Einführung der Mehrparteien-Demokratie vor 15 Jahren. Politische Beobachter haben daher berechtigten Zweifel an einem Neubeginn.
Im nepalesischen Volk selbst hofft man allerdings mehrheitlich auf die Lernfähigkeit der Politiker, so auch Sukh Deo Muni: "Es ist nicht vorstellbar, das jemand die alten Fehler wiederholen wird", sagt er optimistisch. Mit dem erfolgreichen Generalstreik hat das Volk jedenfalls einen Etappensieg erzielt. Dennoch bleiben für die Zukunft noch viele Fragen offen. Nepal steht erst am Anfang eines langen, schwierigen Weges zur Demokratie.
Hör-Tipp
Journal-Panorama, Mittwoch, 17. Mai 2006, 18:25 Uhr
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Links
Wikipedia - Nepal
Nepal News - Nachrichtenseite (engl.)