Der Künstler und der Verleger

Joseph Beuys zum 85. Geburtstag

Lothar Schirmer ist nicht nur einer der bekanntesten Kunstbuchverleger im deutschsprachigen Raum, sondern auch ein großer Sammler zeitgenössischer Kunst. Joseph Beuys und sein Werk nimmt dabei bei beiden Tätigkeiten eine zentrale Stellung ein.

Andreas Puff-Trojan spricht mit Lothar Schirmer über Beuys.

Der Schirmer/Mosel Verlag hat zwischen dem 20. Todestag von Joseph Beuys im Januar und seinem 85. Geburtstag am 12. Mai mehrere Bücher von und über den Künstler herausgebracht: "Die Multiples", Die Rede "Mein Dank an Lehmbruck" und Sean Rainbirds Buch "Joseph Beuys und die Welt der Kelten".

Über seine Beziehung zu Beuys und über dessen Kunst- und Wertvorstellungen spricht Andreas Puff-Trojan mit dem Verleger Lothar Schirmer.

Andreas Puff-Trojan: Bei Schirmer/Mosel ist jetzt der umfangreiche Band zu Beuys "Multiples" neu aufgelegt worden. Beuys spricht in einem Interview auch von dem Objekt "Zwei Fräulein mit leuchtendem Brot". Beuys sagt da, dass es ihm eigentlich um das Geistige bei dem Wort "leuchtendes Brot" ginge. Es sei wie bei der "Wandlung einer Hostie im alten Kirchenbrauch". Das Brot sei "Christus". Und es ginge tatsächlich um "Transsubstanziation von Materie". Wie ernst darf man da Beuys nehmen?
Lothar Schirmer: Da dürfen Sie ihn bestimmt wörtlich nehmen. Das wird die katholische Kirche eines Tages auch noch merken, wenn sie es nicht schon gemerkt hat, dass sie auf der Suche nach dem christlichen Bildhauer den größten eigentlich übersehen haben. Und dann fahren wir alle zum Petersdom und gucken uns die große Beuys-Ausstellung an.

Kommen wir zu dem Band "Die Multiples" zurück. Was sind "Multiples"?
Normalerweise gibt's bei der klassischen Bildhauerei vier bis sechs Güsse von einer Form. Das ist dann die gängige Auflage. "Multiples" sind eben kleine Gegenstände, kleine Objekte, die halt in größerer Auflage hergestellt und signiert sind. Und damit hat Beuys dann auch andere Kreise erreicht als die, die er mit den teuren Originalen erreicht hat. Sie werden's nicht glauben: Dieses Multiples-Buch ist in der fünften Auflage! Es wird immer wieder verbessert und es kommt noch was dazu. Aber es ist eigentlich das einzig wirklich populäre Buch. Das hängt damit zusammen, dass es das Arbeitsgerät für jeden ist, der so ein Multiple besitzt, der muss eigentlich auch das Buch haben. Das ist wie der Briefmarkenkatalog für den Briefmarkensammler. Das hat ne schöne Pointe eigentlich.

Sie haben jetzt in Ihrem Verlag die schöne Rede "Mein Dank an Lehmbruck" herausgebracht, die Beuys 1986 und elf Tage vor seinem Tod bei der Verleihung des Wilhelm-Lehmbruck-Preises der Stadt Duisburg gehalten hat. Was bei der Lehmbruck-Rede auffällt: Beuys ist das Medium Sprache sehr wichtig. Beuys hat einmal gesagt: "Mein Weg ging durch die Sprache, so sonderbar es ist, er ging nicht von der so genannten bildnerischen Begabung aus." Wie verstehen Sie diesen Beuys-Satz?
Dazu muss man sagen, dass er zunächst mal ernsthaft an eine schriftstellerische Karriere gedacht hat. Also bevor er der Bildhauerei nahe kam, hat er also irgendwo zwischen Rilke und Goethe mit hohem pathetischen Klang geschrieben. Es gibt in dem Band, den wir gemacht haben, "Der Knospe zarter Hülle", einige dieser Manuskripte. Er hat mir einmal erzählt, er hätte eines Tages gesehen, dass das nicht seine Begabung sei, Schriftsteller zu werden. Und dann hätte er alles, was er geschrieben hatte, bis auf 40 Blätter, die ihm gelungen erschienen, verbrannt. Das ist das Erste. Das Zweite ist, dass man den Zusammenhang zwischen Wort und Bild nicht unterschätzen darf. Man muss ja über Bilder immer nachdenken und das Nachdenken vollzieht sich dann doch wieder in einer sprachlichen Ebene. Er war ja sehr sprachgewandt. Wenn Sie dieses Wort nehmen: "Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung", dann heißt das einerseits, dass er ein Verschwender ist, aber in der Verschwendung sich der Reichtum bildet.

Heute hört man bestimmte Meinungen zu Beuys wieder öfter: Er sei ein Kunstscharlatan gewesen und eigentlich ein toter Hund. Was würden Sie dem entgegnen?
Naja, Scharlatan, würde ich sagen, ist albern. Da muss man nur die Augen aufmachen und sich die Werke und die Ideen und auch die Schriften angucken. "Toter Hund" - er ist natürlich tot, ja! Aber, wie auch immer: Tot, aber nicht begraben. Sagen wir mal so.

Hör-Tipp
Kontext, Freitag, 12. Mai 2006, 9:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipps
Lothar Schirmer, "Joseph Beuys. Eine Werkübersicht, Schirmer/Mosel Verlag, ISBN 3888148103

Lothar Schirmer, Joseph Beuys, "Mein Dank an Lehmbruck. Eine Rede", Schirmer/Mosel Verlag, ISBN 3829602251

Sean Rainbird, "Joseph Beuys und die Welt der Kelten. Schottland, Irland und England 1970-85", Schirmer/Mosel Verlag, ISBN: 3829601778