Ein Reisebericht über Tansania
Wenn der Hunger quält
Das World Food Programme der UNO hat Journalisten aufgefordert, in die Hungergebiete der Sub-Sahara-Staaten zu fahren und die Weltöffentlichkeit aufzurütteln. Mehr als 17 Millionen Menschen sind dort auf internationale Hilfe angewiesen, um nicht zu verhungern.
8. April 2017, 21:58
Stimmen aus Naalarami über Versorgungsengpässe
Insgesamt 25 Länder in Afrika sind wegen der jahrelang anhaltenden Dürre von Hungersnot betroffen. Mehr als 17 Millionen Menschen haben nichts oder nicht ausreichend zu essen. Besonders schlimm ist die Lage in Tansania, und hier vor allem in den tausenden kleinen Dörfern jenseits der großen Weltöffentlichkeit.
Die Kinder von Naalarami
Sie sehen müde aus, sind scheu und meiden den Augenkontakt - die Kinder von Naalarami in Arusha im Norden Tansanias. Aber auf die Frage nach ihrem sehnlichsten Wunsch gibt es eine klare Antwort: "Chakula" - Essen. Das ist das Einzige, woran die Kinder noch denken können.
In diesem kleinen Dorf gehen nur noch 170 der 270 Kinder in die Schule. Einige seien auf der Suche nach Wasser mit ihren Eltern weggezogen, berichtet der Schuldirektor: "Das größte Problem in der Schule ist, dass die Kinder überhaupt nicht mehr zuhören. Am Vormittag schlafen fast alle. Manche von ihnen kommen wegen Entkräftung gar nicht mehr in die Schule.
Eine der Frauen im Dorf erzählt, bei Wasserknappheit könnten die Frauen in der Umgebung noch nach Wasserlöchern suchen. Wenn sie den ganzen Tag unterwegs seien, würden sie immer ein bisschen Wasser finden, um zumindest die Kinder zu versorgen. Aber Lebensmittel - die seien ein echtes Problem.
Das School Feeding Programme
Mehr Glück haben die Kinder in Esilalei im Bezirk Monduli, etwa 50 Kilometer von Naalarami entfernt. Ihre Schule ist landesweit eine von 300, die vom WFP, vom World Food Programme, regelmäßig mit Nahrungsmitteln versorgt werden. In Zeiten der Dürre sind die Kinder die einzigen Familienmitglieder, die täglich zu essen bekommen. Daher stehe die Schule bei den Kindern hoch im Kurs, sagt eine der Lehrerinnen: "Die Zahl der Schüler hat stark zugenommen. Denn die Masai-Kinder hüten normalerweise das Vieh ihrer Eltern. Aber durch die anhaltende Dürre bekommen sie zu Hause nichts zu essen. Daher kommen sie in die Schule".
Das Menü, das die WFP-Verantwortliche, Karla Hershy, für das so genannte "School Feeding Programme" anzubieten hat, ist angesichts der Versorgungslage in den meisten Haushalten geradezu luxuriös: "WFP versorgt die Schulen mit CSB - einer Mischung aus süßem Mais und Soya. Es wird häufig für's Frühstück verwendet oder als Vormittags-Snack. Zu Mittag essen die Kinder dann Maisbrei und Hülsenfrüchte. Wir stellen den Schulen auch noch Pflanzenöl und Salz für's Mittagessen zur Verfügung", sagt Hershy.
Kühe zu Dumping-Preisen
Vier Stunden Autofahrt von Naalarami entfernt liegt das Dorf Nadonjukin im benachbarten Bezirk Simanjiro. Die Menschen hier - ebenso vorwiegend Masai - leben von der Viehzucht und ernähren sich von ihren Rindern. Da aber auch hier in den letzten Jahren heftige Regenfälle ausgeblieben sind, erkrankten auch die Tiere. Ihr Zustand hat den Preis am Viehmarkt deutlich gedrückt. Anstatt wie früher zwischen 200 und 450 Euro für eine Kuh zahlen die Käufer jetzt gerade mal zwischen zehn und 25 Euro. Doch die Masai haben kaum eine andere Wahl, als ihre Kühe zu Dumping-Preisen zu verkaufen, um Mais und Speiseöl für ihre Familien zu kaufen. Das wahre Ausmaß der Katastrophe wird auf einer völlig ausgetrockneten Weide außerhalb des Dorfes fassbar. In der prallen Sonne verwesen die Leichen von etwa 500 Kühen und Ziegen ...
In Zentral-Tansania ist die Lage auf den ersten Blick ganz anders. Hier sind die ersten Regenfälle niedergegangen und tauchen die Region Singida in sattes, frisches Grün. Doch der Schein trügt. Auch hier ist der Regen im November völlig ausgeblieben. Für viele kommen die jetzigen Schauer zu spät. Das Saatgut, das die hiesigen Bauern aussäen, verkümmert. Mehrere Dörfer sind hier von der Versorgung mit Lebensmitteln überhaupt ausgeschlossen.
Probleme bei der Versorgung
Insgesamt sind in Tansania nahezu vier Millionen Menschen auf Lebensmittel-Hilfe angewiesen. Sie bekommen Mais von der tansanischen Regierung zu stark subventionierten Preisen. Jeder Fünfzehnte von ihnen wird vom WFP allerdings als extrem verwundbar eingestuft. Denn die Versorgung klappt nicht überall. Der Transport geht schleppend, die Menge reicht oft nicht für die vielen Hunger leidenden Menschen aus.
Die Village Executive Officers - für die Verteilung zuständig und täglich mit dem Leid der Menschen konfrontiert - klagen die Regierung an. Sie hätten schlichtweg zu spät auf die drohende Katastrophe reagiert. Auch Francis Nolasko, Koordinator der Caritas Arusha für Kriseneinsätze schließt sich dieser Einschätzung an: "Wegen der Präsidenten- und Parlamentswahlen im Dezember hat die Regierung zu spät gehandelt und vor allem viel zu spät öffentlich erklärt, dass eine Hungersnot droht". Ein Vorwurf, den Landwirtschaftsminister Joseph Mungai nicht gelten lassen will: "All jene Gebiete, aus denen wir Informationen erhalten haben, sind sehr schnell mit Nahrungsmitteln versorgt worden", sagt er. Andererseits gibt er aber zu, dass es in manchen Bereichen zu Problemen kommt.
Appell an Geber-Gemeinschaft
Erst vor knapp einem Monat hat die Regierung in Tansania an die Geber-Gemeinschaft um Hilfe appelliert. Joseph Mungai dazu: "Wir haben in zwei Schlüsselbereichen um Unterstützung gebeten. Zum einen benötigen wir finanzielle Hilfe, um den Transport und die landesweite Verteilung der Lebensmittel-Lieferungen gewährleisten zu können. Zum anderen brauchen wir Unterstützung, um unseren strategischen Kornspeicher wieder aufbauen zu können. Wir sind gesetzlich verpflichtet, die Mais-Reserven bei 150.000 Tonnen zu halten. Es ist uns gelungen, die Reserven auf 112.000 Tonnen aufzustocken. Aber durch die Verteilung der Lebensmittel-Hilfe beläuft sich unser Vorrat auf Null.
Um die Maisreserven möglichst rasch wieder aufzustocken, hat die Regierung Ende Jänner mit sofortiger Wirkung eine dreimonatige Steuerbefreiung für Mais-Importe beschlossen. Doch diese kurzfristigen Maßnahmen seien nicht ausreichend, sagt Patrick Barlay, Landesdirektor des World Food Programme: "Mit den bestehenden Reserven und mit der Steuerbefreiung für Maisimporte sollte das Land etwa zwei Monate lang durchkommen. Aber danach werden alle Reserven aufgebraucht sein". Das WFP rechnet jedenfalls damit, dass es etwa drei bis vier Monate dauern wird, Mais aus den USA oder Lateinamerika einzuführen. Die Nachfrage ist groß, denn Tansania ist nur eines von 25 Ländern in Afrika, die derzeit auf Hilfslieferungen angewiesen sind.
Hör-Tipp
Journal-Panorama, Donnerstag, 4. Mai 2006, 18:25 Uhr
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Links
Wikipedia - Tansania
WFP - World Food Programme