Prostitution - Lebenswelten und Mythen

Sexarbeit

"Huren sind Sklaven", behauptete noch Bert Brecht. Die "Parias" der Gesellschaft schrieb später Simone de Beauvoir. Heute sieht man das viel gelassener. Jetzt gibt es zwei Neuerscheinungen zum Thema, die nicht vom Flair des Verruchten profitieren.

Das sexuelle Tauschgeschäft ist Arbeit.

Ehedem wurden Huren verfolgt, bestraft, verabscheut, bemitleidet oder bewundert. Einer säkularen Gesellschaft wie der unseren ist das zu sentimental. Mit dem Puff verhält es sich doch wie mit McDonalds, sagt ein moderner Großbordell-Manager aus Hamburg, keiner geht hin, aber jeden trifft man dort. Er fordert, dass Prostitution endlich gesellschaftsfähig wird.

Ausstellung in Hamburg

In Hamburg ist noch bis Mitte August die Ausstellung "Sexarbeit" zu sehen. In den 14 Räumen, die von einer Bühnenbildnerin des Hamburger Thalia-Theaters gestaltet wurden, zeigt Kuratorin Elisabeth von Dücker benutztes Arbeitswerkzeuge von Huren, ausgefranste Peitschen, zerschlissene Lackkorsetts, Pailettenschürzen, Stilettos in allen Formen und Farben und das wichtigste Utensil im Milieu: die große Sonnenbrille.

Elisabeth von Dücker führte circa 30 längere Interviews mit Sexarbeiterinnen, machte daraus Texte, die sie von Schauspielern lesen ließ, und baute diese dann in die Audio-Stationen der Ausstellung ein. All diese Texte plus etliche theoretische Abhandlungen, außerdem Kurzbeschreibungen von politischen Initiativen findet man in dem hervorragend in Stigma-Gelb gestalteten Ausstellungskatalog.

"Es geht um das Mieten des Körpers für eine bestimmte Handlung", meint Elisabeth von Dückers. "Das ist etwas anderes als wenn man sagt: Sie verkauft sich. Der Leiter des sexualwissenschaftlichen Institutes Volkmar Sigusch hat gesagt, die Prostitution gehört zur Gesellschaft wie das Amen in der Kirche."

Symbolische Güter

Diese Sichtweise passt gut zur grassierenden Ökonomisierung des gesamten Lebens im Westen. Aber sie verkennt, dass der Mensch nicht nur ein mehr oder weniger gut verkäufliches Konglomerat von Leistungen und Funktionen ist, sondern auch ein Wesen, das moralische Grundsätze hat, Scham kennt, Gewissen und Bereiche, die ihm heilig sind. "Symbolische Güter" nennt der französische Soziologe Pierre Bourdieu diese Werte. Und fügt hinzu, dass die Bedeutung dieser symbolischen Güter für Männer und Frauen verschieden sei.

Die Bourdieu'sche Tiefenschärfe wird weder vom Hamburger Sexarbeits-Katalog erreicht noch von der neu erschienenen "Neuen Weltgeschichte der Prostitution" des norwegischen Historikers Nils Johan Ringdal. Obwohl er dabei eine Menge Material umwälzt - von den mesopotamischen Tempelpriesterinnen über den Abstieg der Frau im Alten Testament zur Verkörperung der Sünde und den Griechen, bei denen Frauen nicht zählten, außer sie waren gelehrte Huren, und etliche weitere Zwischenstationen bis in die heutige Zeit.

"Effektiver Sex" mit Entspannungsfachleuten

26 Stationen hat seine Prostitutionsgeschichte. Und schon auf Seite 100 beschleichen den Leser Vorstellungen, die den Autor inmitten einer Armada von Karteikästen zeigen, prallvoll mit Kärtchen, aus denen er dieses lexikalische Kompendium gebaut hat. Zahlen, Götternamen, Anekdoten, Argumente - Ringdals Fleißarbeit ist ein gutes Beispiel dafür, wie eng Überfluss und Überdruss zusammenhängen. Da die großen Fragen, die im Hintergrund die Faktenschnipsel erst zu einordenbaren Informationen verbinden, bei Ringdal ganz fehlen, perlt die Sachkenntnis des Historikers am Gehirn des Lesers ab wie der Schmutz am teflonbeschichteten Anzug.

"Effektiver Sex mit Spezialisten kann sowohl für das Individuum wie für die Gesellschaft sinnvoll sein.", schreibt Nils Johan Ringdal, der an anderer Stelle auch von den "dogmatischen Anhängern der wahren Liebe spricht". Und man versucht sich so etwas wie eine Gilde rundum desinfizierter Entspannungsfachleute vorzustellen - erotisch ist das nicht.

Noch etwas kommt hinzu. Und da hat der Norweger Ringdal, der das halbe Jahr über in Asien lebt, wahrscheinlich Recht. Prostitution wird weltweit anwachsen. Der Grund: In China, Indien und fast in ganz Ost- und Südostasien fehlen Mädchen überproportional. Brauch ist es, sie pränatal zu diagnostizieren und anschießend abzutreiben. "Bald wird es allein 50 Millionen mehr chinesische Männer als Frauen geben. Die Welt wird schon bald eine Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen und Partnervermittlungen erleben wie nie zuvor in der Geschichte." Ob Sexarbeiterinnen diesen Notstand in ein florierendes Geschäft verwandeln können, sei dahin gestellt.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipps
Nils Johan Ringdal, "Die neue Weltgeschichte der Prostitution", aus dem Norwegischen übersetzt von Ulrich Sonnenberg, Piper Verlag, ISBN 3492047971

Elisabeth von Dücker, "Sexarbeit. Prostitution - Lebenswelten und Mythen", Edition Temmen, ISBN 3861085429

Veranstaltungs-Tipp
Ausstellung "Sexarbeit", bis 13. August 2006, Museum der Arbeit Hamburg

Link
Museum der Arbeit - Sexarbeit