Arzt, Wissenschafter, Therapeut - und Autor

Das Wort und seine Zauberkraft

Der Wissenschafter als Schriftsteller: Sigmund Freud war ein phantasievoller und begabter Schriftsteller. Seine Veröffentlichungen setzten nicht nur wissenschaftliche, sondern auch literarisch-stilistische Maßstäbe.

Als Sigmund Freud seine Krankengeschichten zu Papier gebracht hatte, äußerte er sich selbst einigermaßen verwundert über seinen Erzählstil: "Die Krankengeschichten, die ich schreibe, sind wie Novellen zu lesen". Freud, der sich in erster Linie als Naturwissenschafter und Therapeut sah, hatte eine nicht zu leugnende schriftstellerische Begabung.

Der Literaturwissenschafter Wendelin Schmidt-Dengler hält Freuds Fallgeschichten für "literarische Inszenierungen, die die Härte von psychischen Prozessen und Konflikten mildern, um sie allgemein nachvollziehbar und verständlich zu machen."

Literaturnobelpreis für Freud?

Freuds prominente literarische Zeitgenossen hatten keinen Zweifel an den dichterischen Qualitäten von Freuds Schriften. 1930 erhielt Sigmund Freud den Goethe-Preis. Im selben Jahr unterzeichneten dreißig Schriftsteller einen Antrag auf Verleihung des Literatur-Nobelpreises an Sigmund Freud, unter ihnen: Virginia Woolf, Alfred Döblin, Thomas Mann und Franz Werfel.

Bekommen hat er ihn bekanntlich nicht. Fest steht, Freud war nicht nur Forscher und Therapeut. Er, der Verfasser von dichten und sinnreichen Schriften, gehört auch in die Reihe großer Autoren und philosophischen Denker. Man schlägt irgendwo auf, etwa in "Das Unbehagen in der Kultur", und liest Sätze wie diesen:

Man möchte sagen, die Absicht, dass der Mensch "glücklich" sei, ist im Plan der "Schöpfung" nicht enthalten.

Tagsüber Patienten, nächtens Schreibwut

47 Jahre lang hat Freud im Haus Berggasse 19 am Wiener Alsergrund gelebt. An manchen Tagen hatte er bis zu elf Patienten. Sein umfangreiches schriftliches Werk, Vorlesungen, Krankengeschichten, Kulturkritisches entstand des Nachts. Darüber hinaus war Sigmund Freud auch ein emsiger Briefschreiber. Bis zu sieben hat er täglich verfasst.

Vom Charakter her sind Freuds Briefe entweder geschäftlicher Natur, oder sie werden machtstrategisch eingesetzt. Wirklich entspannt wirkt er auf Reisen, vor allem wenn er im geliebten Italien weilt und an seine Familie zu Hause in der Berggasse schreibt. Zärtliche Zeugnisse sind erhalten. Dazu zählen vor allem die Brautbriefe, die der junge Freud aus Paris an seine künftige Braut Martha in Wien schickt:

Das bisschen Cocain macht mich geschwätzig, Weibchen. Weißt Du, wie seltsam der Mensch zusammengesetzt ist, seine Tugenden oft den Keim zu seinem Verderben bringen und seine Fehler sein Glück machen?

Klare Worte für Kompliziertes

Was die Fachliteratur des Wiener Nervenarztes angeht, so zeichnet sich diese durch hohe Verständlichkeit aus. Freud schreibt spätestens ab den 1920er Jahren für ein interessiertes Publikum, nicht nur für einen universitären Zirkel. Seine Bücher erreichen relativ hohe Auflagen - bis zu 50.000 Stück. Es ist durchaus angebracht, Freud auch als einen Publikumsschriftsteller zu bezeichnen. Die Einsicht in den Hergang seelischer Prozesse verbindet sich bei ihm mit einer unbändigen Schreiblust. Er findet klare Worte für komplizierte Vorgänge.

Die Verneinung ist eine Art, das Verdrängte zur Kenntnis zu nehmen, eigentlich schon eine Aufhebung der Verdrängung, aber freilich keine Annahme des Verdrängten.

"Welcher Arzt hat durch seine Lehre die moderne Literatur entscheidend beeinflusst?" Nein, das ist keine (eher aufgelegte) Rätselfrage im so genannten Sigmund-Freud-Jahr, sondern eine Rätselfrage der "Neuen Freien Presse" aus dem Jahr 1928. Eine Kuriosität, die aber auch beweist, dass die Existenz der Psychoanalyse bereits zum Basiswissen gezählt wurde.

Ein Jahrhundertdatum für das Jahrhundertbuch

Freud kam auch auf die Idee, Träume wissenschaftlich zu untersuchen. Der Traum, so fand er heraus, ist eine Wunschprojektion, der Traum stellt einen Sachverhalt so dar, wie es der Träumende wünscht.

"Die Traumdeutung" hat Freud für sein wichtigstes Buch gehalten. Obwohl die erste Auflage bei ihrem Erscheinen nicht besondere Beachtung fand, war sich Freud offensichtlich des Epoche machenden Einflusses dieses Werkes bewusst. Es erschien im Oktober 1899, aber Freud datierte es voraus auf 1900.

Freud ein Kulturpessimist?

Die Sigmund-Freud-Forschung hat herausgefunden, dass das Wort "Freiheit" in seinen Schriften angeblich nur siebenmal vorkommt, aber stets ohne eigentliche Problematisierung dieser Thematik, sondern eher nur wie nebenbei. Mit anderen Worten: Für Freud war die Unmöglichkeit wirklich freien Handelns so selbstverständlich, dass er nicht auf die Idee kam, sich darüber theoretisch zu äußern.

Einen Gedanken, den Freud in seinen letzten Schriften formulierte, konnte man ihm noch weniger verzeihen, als all das, was er über die heilige bürgerliche Familie geschrieben hatte: Überleben und Zivilisation hielt Professor Freud für unvereinbar.

Hör-Tipp
Österreich 1 Extra, Samstag, 29. April 2006, 23:05 Uhr

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Links
Sigmund Freud Museum Wien
Freud-Institut
Wiener Psychoanalytische Vereinigung