Eine mittelalterliche Liebesgeschichte in Briefen

Und wärst du doch bei mir

Minnelieder, die von hoher oder sinnlicher Liebe sprechen, gibt es in der mittelalterlichen Literatur zur Genüge. Aber Liebesbriefe, lange Briefwechsel, in denen zwei Liebende miteinander und zueinander sprechen, sind äußerst selten.

Alles ist anders als in der Lyrik der Minnelieder: Die beiden Briefschreiber nennen nicht ihre Namen, sondern sprechen sich bloß als "Er" und "Sie", als "Mann" und "Frau" an, die Autorenschaft bleibt ein Geheimnis. Die Kraft der Liebe lebt allein vom Feuer der Worte.

Er: Weil du, meine süßeste Herrin, es mir so geboten hast und weil mich - ich will noch ehrlicher zu dir sein - die heiß lodernde Flamme der Liebe zwingt, konnte sich dein Geliebter nicht zügeln und grüßt dich, statt in eigener Person, durch einen Liebesbrief.

Sie: So wie der Müde den Schatten und der Dürstende das Wasser ersehnt, so sehr sehne ich mich danach, dich zu erblicken... Nichts wird für meinen Leib so mühevoll, nichts für meine Seele so gefahrvoll sein, dass ich es nicht auf mich nähme aus Liebe zu Dir.

Lehrer und Schülerin

Die Anonymität der beiden Liebenden unterscheidet den Briefwechsel von der Minnelyrik. Allerdings auch der Umstand, dass die Briefe in Latein verfasst sind. Latein war die Sprache der Gebildeten. Und ganz ohne Zweifel gehörten die beiden Liebenden zu diesem Stand.

Sie haben im mittelalterlichen Frankreich gelebt und ihre Briefe zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert verfasst. "Sie" spricht ihren Geliebten als Gelehrten und Dichter an, der dem Klerus angehört. Was wiederum wenig darüber sagt, ob er die Priesterweihe empfangen hat oder nicht. "Sie" ist die deutlich Jüngere und inszeniert in den Briefen ein Lehrer-Schüler-Verhältnis.

Leider macht dieser Umstand die Sache noch verzwickter. War sie adeliger Abstammung und war dann ins Kloster eingetreten? War "Er" vielleicht ihr "Hauslehrer" gewesen? Man weiß es nicht.

Süße Hingabe

Ob diese offenbar geheime, verbotene Liebe auch körperliche Erfüllung gefunden hat, möchte die Herausgeberin der Liebesbriefe, Eva Cescutti, weder bejahen noch verneinen. Freilich, die beiden Liebenden waren Gebildete und als solche kannten sie den Kanon lateinischer Liebestexte. Beide zitieren am häufigsten aus Ovids "Ars amandi", "Die Kunst des Liebens", ein Buch, dem es an Erotik sicher nicht mangelt.

Er: Meine Sinnenglut in Worte zu fassen, / dazu treibt es mich, / die meinen Geist zerfrisst und mein / Herzensinnerstes quält. / So wie das Wasser sucht, wen die Glut der / Sonne versengt, / so verlange ich atemlos nach dir und danach, / deine Brüste zu berühren.

Sie: ... mein heller Stern, goldener Strahl, Kleinod der Tugend, süße Arznei für meinen Körper.

Worte der Sehnsucht

Was sich in der Brief-Ausgabe "Und wärst du doch bei mir" auf wunderbare Weise zeigt, ist der Liebesdialog zweier gleich starker Partner, gleich stark in der Empfindung, gleich stark in der Kunst der Wortwahl. Von Ausnahmen abgesehen, wird es Jahrhunderte dauern, bis wieder eine Frau ihre Gefühle ganz frei in solche Worte fasst, selbstbewusste Schriftstellerin ist und zugleich einen Partner findet, der genau so eine Frau haben will, um lieben zu können.

Weswegen man diese Briefe aber auch unbedingt lesen sollte, betrifft unsere Zeit. Im Zeitalter sexueller Abgeklärtheit und Internet-Partnerbörsen sind kunstvolle Worte der Liebe eine Rarität, wenn nicht gar eine Kuriosität. Wer aber den beiden unbekannten Liebenden aus dem Mittelalter zuhört, der begreift, dass diese Art von Liebes-Literatur Körper wie Geist in ihren Bann zieht. Es sind freie Worte der Sehnsucht und der Hingabe, sie gelten damals wie heute.

Mehr zum berühmtesten Liebespaar des Mittelalters, Abaelard und Heloise, in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Eva Cescutti und Philipp Steger (Hg.), "Und wärst du doch bei mir - Ex epistolis duorum amantium. Eine mittelalterliche Liebesgeschichte in Briefen", Lateinisch-Deutsch, Manesse Verlag, ISBN 3717520903