Unerwünschte Nebenwirkungen
Lesen macht krank
Literaturfreaks bezahlen für ihre Leidenschaft mit müden Augen, mit notorischem Bewegungsmangel und manchmal - wenn's sehr spannend wird - mit massivem Schlafentzug. Schlimm genug. Aber es gibt noch ganz andere Gefahren.
8. April 2017, 21:58
Ich bin bekannt als professioneller Jammerer. Jammern ist gleichsam meine Passion. Wenn mir jemand die ebenso häufige wie triviale Frage stellt, "No, wie geht's?" wird er unweigerlich die Antwort bekommen: "Miserabel natürlich". Das ist unter meinen Bekannten und Verwandten so eingeführt; würde ich jemals mit einem euphorischen "Danke, gut", oder auch nur mit einem verhaltenen "Naja, geht so", antworten - die Leute, die mich kennen, kämen unvermeidlich zum Schluss, dass es mir jetzt wirklich schlecht geht.
Soweit die Vorrede, die dazu dienen soll, das Folgende besser zu verstehen.
Es geht ja hier um Literatur. Ich lese viel und gern, und kann daher aus einschlägiger und durchaus beachtlicher Erfahrung sagen: Lesen macht krank. Nicht das Lesen an sich - bitte, das schädigt die Augen, aber es soll so schlimm nicht sein. Bildschirmarbeit ist weitaus gefährlicher. Und auch der notorische Bewegungsmangel soll hier kein Thema sein - den man übrigens durch gymnastische Betätigung während des Lesens hintan halten kann. Nein, es handelt sich um das Lesen über Krankheiten.
Das kommt leider häufig vor. Die Dichter sind ja durch die Bank nicht sehr gesund, sie laborieren an Leiden aller Art, und schreiben dann auch gern darüber. So ist die ganze Weltliteratur in weiten Teilen eine gigantische Ansammlung von Krankheiten und Krankheitsbeschreibungen, wie man sich leicht überzeugen kann.
Und nun mein Problem: Sowie ich meinerseits in einem Roman von einer Krankheit lese, beschleicht mich nicht nur der Verdacht, sondern es festigt sich förmlich die Gewissheit, unter ihr zu leiden. Jüngstes Beispiel: Narkolepsie. Ein moderner, junger Held eines jungen, modernen Autors - ich will hier keine Namen nennen - litt unter dieser Krankheit. Sie besteht in anfallsartigen Schüben von bleierner Müdigkeit, und wurde übrigens kürzlich in die WHO-Liste der anerkannten und diagnostizierten pathologischen Erscheinungen aufgenommen - was ich wiederum durch Google weiß.
Die genannten Schübe treten ausschließlich tagsüber auf, nächtens ist der Betroffene putzmunter. - Die ideale Krankheit für Schriftsteller also. Die massive Müdigkeit, die den Betroffenen befällt, ist unbezwingbar. Man schläft einfach ein. Für einige zehn, 30 oder bis zu 100 Minuten. Auf der Stelle. Hilflos. Kennen Sie das? Gähn. Die Anfälle kommen je nach Schwere der Krankheit mehrmals täglich. Gähn. In schweren Fällen werden die Wachphasen zwischen den Anfällen kürzer als die Schlafphasen. Gäähn. Wie gesagt, nur bei Tag. Gäähn. Bis zu 20 Prozent der Bevölkerung sollen nach aktuellen Erhebungen in leichterer oder schwerer Form... Gääähn... Gäääähn...
Wo waren wir stehen geblieben? Wenn's mir nur einfallen wollte. Ah ja. Literatur und Krankheit. Letztens kam mir der gefürchtete Morbus Alzheimer in meiner Lektüre unter. Seither, siehe oben, plagt mich die Sorge. Ich beobachte mich. Kommt es vor, dass ich in ein Zimmer gehe, und dann nicht mehr weiß, was ich dort eigentlich wollte? - Ein typisches Merkmal der heimtückischen Alzheimer-Erkrankung. Fallen mir die Namen meiner Freunde noch alle ein? Ich gehe sie durch. Ich prüfe mich. Der des Wiener Bürgermeisters? Der des aktuellen und auch der des vorigen amerikanischen Präsidenten. Einer hieß jedenfalls Ronald Reagan, er hatte Alzheimer.
Immerhin gibt's für Alzheimer, wieder gegoogelt, einen hochgradig signifikanten Test. Er funktioniert so: Sie zeichnen auf ein Stück Papier das leere Ziffernblatt einer Uhr, ohne Zeiger. Dann zeichnen Sie für verschiedene Uhrzeiten die richtige Zeigerstellung ein. Großer und kleiner Zeiger natürlich, sonst wär's zu einfach. Können Sie das nicht, dann haben sie wahrscheinlich Alzheimer. Können Sie es doch, dann hat Ihre Demenz andere Ursachen. Deren gibt es viele. Durchblutungsstörungen des Gehirns etwa kommen in Frage. Dann gab's da noch... ähm... ähm...
Was wollte ich noch sagen? Drei Dinge... ähm... ah ja. Erstens: Seien Sie vorsichtig. Lesen ist gefährlich. Wenn Sie hypochondrisch vorbelastet sind, kann Lesen Ihr Gedächtnis zerstören. Das Gesundheitsministerium sollte das in entsprechender Größe auf jeden Buchdeckel drucken lassen.
Die beiden anderen Dinge hab' ich vergessen. Naja. Bis zum nächsten Mal.