Der Persönlichkeitsverweis im Rechteck

Die Visitenkarte

Hochformat oder Querformat, bunt oder schwarzweiß, beidseitig oder nur einseitig bedruckt? Auf kleinstem Raum wird die Ausgewogenheit der Information gesucht, um einen möglichst guten und bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Selbsterziehung zur Visitkarte

Manchmal redet man davor, manchmal auch erst danach. In jedem Fall lotet man den richtigen Moment aus um das kleine Stück Papier zu zücken und seinem Gegenüber die eigene Person zu erklären, die Position klar zu machen und manchmal auch das Gespräch zu legitimieren. Der rechteckige Identitätsverweis, der vielerorts an Stelle eines Ausweises benutzt wird, soll einen möglichst merkwürdigen Eindruck hinterlassen. Es handelt sich heute dabei mehr um eine unabdingbare Notwendigkeit und wirtschaftliche Selbstverständlichkeit als Ausdruck eines gesellschaftlichen Status.

Im 17. Jahrhundert waren Visitenkarten der Aristokratie vorbehalten. Die Besucher machten der Herrschaft mit den handtellergroßen Visitkarten ihre Aufwartung. In London benutzten Geschäftstreibende damals sogenannte "Trade Cards", Karten um potentielle Kunden den Weg zu ihren Läden zu zeigen um dort ihre Waren feilzubieten.

Keine, eine oder doch ganz viele

Heuzutage haben Geschäftstreibende mindestens eine Visitenkarte. Manchmal auch eine zweite, private Karte. Hatte man früher nur eine Karte, die Berufsbezeichnende, so war es üblich den Titel wegzustreichen sofern man sie für private Zwecke nutzte. Aus Höflichkeit.

Eine Karte für mehrere Einsätze zu präparieren ist oft nicht möglich, vor allem wenn das berufliche Spielfeld groß ist. In Zeiten der Dayjobs, der kurzweiligen Arbeitsverhältnisse, der Werkverträge oder der freien MitarbeiterInnenschaft, kann es leicht passieren, dass nicht all die Jobbezeichnungen auf eine Karte passen - sie auch unglaubwürdig machen würden.

Eine kleine Heerschar an Identitätsverweisen ist also angebracht um zu jeder Zeit das richtige Bild von sich und seinen Fähigkeiten zu präsentieren. Ganz anders ist die Sachlage in MusikerInnenkreisen. Viele MusikerInnen beispielsweise, legen sehr wenig bis gar keinen Wert auf die oft so offizielle Karte. In diesen Kreisen reicht eine CD als digitaler Verweis auf die musikalische Befähigung.

Haptische Momente

Die Entwicklung in Richtung verdigitalisierte Gesellschaft hat auch an der kleinen Karte ihre Spuren hinterlassen. Unternehmen, die sich am virtuellen Puls orientieren verschicken CD-Roms im Scheckkartenformat unter dem Deckmantel der Visitenkarte. Doch gerade zwischen all den Nullen und Einsen wiegen haptisch-analoge Moment oft doppelt soviel.

Was von Europäern und Amerikanern oft nachlässig behandelt wird - der Moment der Übergabe - wird von Asiaten zelebriert. Die Karte einfach lässig auf den Tisch zu legen oder sie einfach in der Brust oder Handtasche verschwinden zu lassen gilt als unhöflich, wenn nicht sogar als rüpelhaft. Mit beiden Händen wird das edle Stück überreicht, begutachtet und besprochen.

Jäger und Sammler

Ob man sie im Karteikästchen, eigens dafür angeschafften Folder mit Plastikhüllen oder in der Schreibtischschublade hortet - die Karte ist der Papier gewordene Beweis, dass man diese oder jene Bekanntschaft tatsächlich gemacht hat. Einmal war es der zukünftige Chef, das andere Mal der Verursacher des Parkschadens und ein anderes Mal vielleicht die Anbahnung eines amourösen Abenteuers. Mn muss sie ja nicht immer zu offiziellen Anlässen verwenden.

Hör-Tipp
Moment, Montag, 24. April 2006, 17:09 Uhr

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