Frauen und alte Menschen in der Gesellschaft

Die Anderen

Heute vor 100 Jahren wurde Simone de Beauvoir geboren. Die französische Philosophin gilt als Klassikerin des Feminismus, ihre Vorreiterrolle in der Altersforschung wird oft übersehen. Ihr Buch "Das Alter" ist heute genauso brisant wie im Erscheinungsjahr.

Berühmt geworden ist die Philosophin Simone de Beauvoir durch das Buch "Das andere Geschlecht" eine kritische Analyse aus dem Jahr 1949, die heute alles andere als überholt ist.

"Ich habe lange gezögert, ein Buch über Frauen zu schreiben. Das Thema ist ärgerlich, besonders für Frauen: außerdem ist es nicht neu. Im Streit um den Feminismus ist schon viel Tinte geflossen, zur Zeit ist er fast beendet: reden wir nicht mehr davon. Man redet aber doch davon."

Denn noch sind bei weitem nicht alle Probleme gelöst. Man muss sich nur die Schlagzeilen der vergangenen Wochen vergegenwärtigen: Der "Gebärstreik" der Frauen, das "Aussterben Europas", der Rentenabschlag für Kinderlose, Armutsfalle Kind und dann wäre da noch der viel zitierte Slogan "Parties statt Kinder" - alles nur persönliche Probleme einzelner unwilliger Frauen?

Die Frau als das Andere

Beauvoir verlangte eine neue gesellschaftliche Organisation: Es müsste möglich werden für Frauen, eigene Lebensentwürfe zu verwirklichen, so ihre Forderung. So wie es für Männer immer schon selbstverständlich ist. Beauvoir hat ein eigenes philosophischen Konzept entworfen: das der Frau als Andere.

"Sie wird mit Bezug auf den Mann determiniert und differenziert, er aber nicht in Bezug auf sie. Er ist das Subjekt, er ist das Absolute: sie ist das Andere".

Mythos Superfrau

Das Bild der Frau hat sich seit den 50er Jahren verändert. Der "Mythos Frau" ist nicht mehr die Hausfrau, Mutter und Ehefrau, sondern die "Superfrau", die alles können soll: beruflich erfolgreiche Mutter mit Kreativität für das Freizeitprogramm der Familie.

Verschwörung des Schweigens

Ebenso kritisch waren ihre Überlegungen zum Alter. Sie stellte die Frauen und die Alten in den Mittelpunkt - die Anderen - jene Gesellschaftsgruppen, die als minderwertig gelten aufgrund von Mythen. Beauvoir entmystifizierte die Beziehungen und unsere Gesellschaft als Ganzes.

"Für die Gesellschaft ist das Alter eine Art Geheimnis, dessen man sich schämt und über das zu sprechen sich nicht schickt. (..) Und das ist der Grund, weshalb ich dieses Buch schreibe: um die Verschwörung des Schweigens zu brechen."

Heimtückische Tyrannei

"Man hat auf der einen Seite das Bild des verehrungswürdigen Greises, Inbegriff aller Tugenden, weise, gütig und über allem stehend und auf der anderen Seite den Greis als alten Narr, der nur noch Unsinn redet und zum Gespött der Leute wird", sagt die Philosophin Anja Weiberg. Diese Klischees werden heute fortgeführt.

Es gibt eine Ethik, die sagt, man muss den alten Menschen achten. "Inoffiziell betrachtet man ihn aber als minderwertig und deshalb gibt es die heimtückische Tyrannei: Man weist ihn auf seine Ungeschicklichkeit hin oder man überschüttet ihn mit Fürsorglichkeit, die ihn lähmt. Beliebt ist auch, mit Alten wie mit kleinen Kindern zu sprechen und sich hinter ihrem Rücken viel sagend zuzublinzeln."

Keine Menschen mehr

"Wir haben ein Menschenbild, dass davon ausgeht, dass der Mensch nicht das ist, was er ist, sondern das, was er tut", sagt die Philosophin Susanne Moser. "Im Neoliberalismus wird betont, dass jeder Mensch etwas aus sich zu machen habe. Die Ich-AG. Ein Mensch, der nichts mehr tun kann, der ist auch kein Mensch mehr." Die Gesellschaft müsse umdenken und das Menschsein bis ins hohe Alter ermöglichen, so Moser.

Und das heißt, eigene Entwürfe zu realisieren, ohne Leistungsanspruch. Und wenn es nur das Kartenspielen ist, das einem alten Menschen Freude und Sinn bereitet.

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Hör-Tipp
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 9. Jänner 2008, 21:01 Uhr

Buch-Tipps
Susanne Moser, "Freiheit und Anerkennung bei Simone de Beauvoir", Reihe Perspektiven Edition Diskord. Tübingen 2002, ISBN 3892957274

Yvanka B. Raynova/Susanne Moser (Hrsg), "Simone de Beauvoir. 50 Jahre nach dem Anderen Geschlecht", Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften 2004, ISBN 3631508662

Simone de Beauvoir, "Das Andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau", ins Deutsche übersetzt von Uli Aumüller und Grete Osterwald, Rowohlt TB Verlag, ISBN 3499227851

Simone de Beauvoir, "Das Alter", ins Deutsche übersetzt von Anjuta Aigner-Dünnwald und Ruth, Henry Rowohlt TBVerlag, ISBN 3499227495

Isolde Schaad, "Vom Einen. Literatur und Geschlecht. Elf Portraits aus der Gefahrenzone", Limmat Verlag Zürich 2005, ISBN: 3857914653