Vergleich Originalfassung und mit Choral
Bachs Oster-Choräle
Bach muss geschockt gewesen sein, als er bei der Rückkehr aus Karlsbad vom plötzlichen Tod seiner Frau erfuhr. Bach-Expertin Thoene erforschte, dass er das traurige Ereignis in die Chaconne für Solo-Violine einarbeitete und diese dem Passions-Thema widmete.
8. April 2017, 21:58
M. Huggett (Original), P. Müllejans (mit Choral)
"Nachdem er mit dieser seiner ersten Ehegattin 13 Jahre eine vergnügte Ehe geführet hatte, wiederfuhr ihm in Cöthen, im Jahre 1720 der empfindliche Schmerz, dieselbe bey seiner Rückkunft von einer Reise, mit seinem Fürsten nach dem Carlsbade, todt und begraben zu finden; ohngeachtet er sie bey der Abreise gesund und frisch verlassen hatte. Die erste Nachricht, dass sie krank gewesen und gestorben wäre, erhielt er beym Eintritte in sein Hauß", berichtet Lorenz Mizler 1754 in der "Musikalischen Bibliothek" über Johann Sebastian Bach.
Was für ein Schock muss dies für Bach 1720 gewesen sein. Dass er den Tod seiner Frau in die berühmte Chaconne für Solo-Violine eingearbeitet hat und überhaupt diese Chaconne dem Passions-Thema, dem Tod Christi, gewidmet ist, das erforschte und publizierte die Geigerin und Bach-Forscherin Helga Thoene bereits vor etlichen Jahren. Bachs Oster-Choräle "Christ lag in Todesbanden" und "O Haupt voll Blut und Wunden" in den Solo-Sonaten für Violine (Chaconne und Sonata a-Moll) - verschlüsselt und entschlüsselt - stehen diesmal im Zentrum der Betrachtung.
Interpretation des "Hilliard Ensembles"
Bei ECM erschien 2001 eine CD mit dem "Hilliard Ensemble" und dem Geiger Christoph Poppen, auf der die Einarbeitung verschiedener Passions-Choräle in die Chaconne hörbar gemacht wurde.
Die "Hilliards" singen hier in den Geigenpart hinein und aus dem "einsamen" Solopart der Geige wird ein faszinierendes Oratorium, das zugleich eine Passion und ein Requiem ist.
Thoenes Entschlüsselung
Helga Thoene hat durch Entschlüsselung der Choräle und der Zahlenmystik der sechs Solostücke Bachs eine Dreiteilung entdeckt:
Sonata 1 und Partita 1 sind dem Weihnachtsfest gewidmet, die zweite Sonata mit der dazugehörigen Partita (in der die Chaconne enthalten ist) dem Osterfest, und die letzten beiden Stücke dem Pfingstfest. Somit beschäftigt sich das mittlere "Paar" mit Tod und Auferstehung.
Vergleich Originalfassung und mit Choral
In ihrem jüngst erschienen Buch, dem eine CD beigefügt ist, analysiert Thoene eben diese zur Chaconne gehörige zweite Sonate des Zyklus in a-Moll und weist auch hier nach, dass Bach ein großes Passions-Choral-Werk in den Notentext der Solo-Geige verwoben hat. "O Haupt voll Blut und Wunden" erklingt gleich im beginnenden Grave. Das cantable Andante ist eine Umspielung des Chorals "Was mein Gott will, gscheh allzeit".
Im angefügten Audiofile ist der Beginn hörbar: Monica Huggett spielt die ersten Takte in der Originalfassung, darauf Petra Müllejans dieselben Takte mit dem hinein gesungenen Choral. Man beachte: die einzelnen Töne des Chorals werden nicht unterbrochen, sondern so lange gehalten, bis die Harmonie im Geigenpart entsprechend wechselt.
Hör-Tipp
Ausgewählt, Mittwoch, 12. April 2006, 10:05 Uhr
Buch-Tipp
Helga Thoene, "J.S. Bach, Sonata a-Moll - Eine wortlose Passion, Analytische Studie", enthält auch eine CD (Petra Müllejans/Violine, Veronika Winter/Sopran, Beat Duddeck/Alt, Henning Kaiser/Tenor, Matthias Horn/Bass, Südwestfunk 2004), Dr. Ziehten Verlag, Oschersleben 2005.
CD-Tipps
Hilliard Ensemble "Morimur", Violinpartita und Choräle, Christoph Poppen (Violine), ECM 2001
J.S. Bach, "Sonatas & Partitas", Monica Huggett, Violine; Virgin/Veritas 1997
J.S. Bach, " Sonatas & Partitas", Sigiswald Kuijken, Violine, harmonia mundi Deutschland 2001
Links
Bach.de
ECM
harmonia mundi
Virgin Music
Dr. Ziethen Verlag
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