Das Problem mit der Bezeichnung

Zigeuner? Sinti und Roma? Roma?

In Berlin ist ein Denkmal zur Erinnerung an die Nazigräuel gegen Zigeuner geplant. Nun ist ein Streit entbrannt: Welche Inschrift soll darauf stehen? "Zigeuner" umfasst zwar alle betroffenen ethnischen Gruppen, ist aber historisch negativ vorbelastet.

In Deutschland war es nie leicht, Erinnerungsstätten an den Naziterror durchzusetzen. Doch diesmal sind es nicht die politischen Parteien oder einzelne Bevölkerungsgruppen, die an der Gestaltung, dem Standort oder gar die Existenzberechtigung eines Denkmals zweifeln. Diesmal sind es die Betroffenen selbst, diejenigen, denen ein Mahnmal gewidmet werden soll.

Seit fünf Jahren schon streiten Vertreter der Sinti und Roma um die passende Inschrift eines Denkmals für die mehr als 200.000 Zigeuner, die von den Nazis verschleppt, enteignet und in den Gaskammern umgebracht worden sind.

Nicht nur Sinti und Roma waren Opfer

Zigeuner? Darf man das heute noch sagen? Genau darum dreht sich dieser Streit. Der Vorsitzende des Zentralrates der Sinti und Roma, Romani Rose, wehrt sich gegen die Bezeichnung. Der Begriff "Zigeuner" ist abwertend, sagt er. Deshalb soll das Denkmal den Sinti und Roma gewidmet sein. Die Sinti-Allianz dagegen findet genau das diskriminierend, weil die Eingrenzung auf Sinti und Roma diejenigen ausschließt, sie sich keiner der beiden Gruppen zugehörig fühlen.

Die Sinti sind zwar die größte Volkgruppe im deutschen Sprachraum, so die Vorsitzende der Allianz Natascha Winter, aber eben bei weitem nicht die einzige. Und obwohl Roma als Sammelbegriff für mehrere ethnische Minderheiten einsteht, so bezeichnet er trotzdem nicht alle, die der nationalsozialistischen Verfolgung ausgesetzt waren. Deshalb soll das Mahnmal den Zigeunern gewidmet sein.

Für den Zentralratsvorsitzende Romani Rose wäre das blanker Hohn. Denn eine Gedenkstätte, die an die Gräueltaten der Nazis erinnern will, kann sich nicht der Sprache der Täter bedienen, damit würde sich das Mahnmal selbst ad absurdum führen.

Umstrittener Kompromissvorschlag

In einem letzten Versuch, das Denkmal doch noch umzusetzen, haben sich die kulturpolitischen Sprecher aller politischen Parteien dann letztes Jahr zu einem Kompromissvorschlag durchgerungen: Die Inschrift sollte demnach all jener gedenken, die als Zigeuner in Deutschland und Europa verfolgt worden sind. Damit wäre sowohl der Vielfalt der betroffenen Gruppen, als auch den historischen Tatsachen Rechnung getragen, denn verfolgt wurden die Betroffenen ja in der Tat als Zigeuner. Der Sammelbegriff Roma hat sich im deutschen Spracheraum erst in den 80er Jahren, als politisch korrekte Ersatzbezeichnung für Zigeuner, durchgesetzt.

Der Zentralverband der Sinti und Roma will sich aber auch damit nicht anfreunden und droht sogar mit einem Boykott der Einweihungsfeier, sollte das Denkmal nicht wie gewünscht den Sinti und Roma gewidmet sein. Damit werden sich die Bauarbeiten weiterhin verzögern. Aber vielleicht ist das auch gar nicht schlimm, denn seinen Zweck könnte es erst dann erfüllen, wenn sich alle drüber einig sind, an wen es eigentlich erinnert. Solange diese Frage selbst unter den Betroffenen nicht erklärt ist, tut eine weitere Nachdenkpause vielleicht sogar ganz gut.

Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 8. April 2006, 17:05 Uhr

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Buch-Tipp
Karl-Markus Gauß, "Die Hundeesser von Svinia", Zsolnay Verlag, ISBN 3552052925

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Europäisches Zentrum für Antiziganismusforschung