Die lateinamerikanischen Mestizo-Rocker
Tanz die Antiglobalisierung!
Sie stellen sich dem Diktat von IWF und Weltbank entgegen und rocken für den mexikanischen Zapatistenführer Marcos. Ihre Musik nennen sie "Mestizo Rock"; ihre Texte stehen für eine Politik, die für die Belange der Menschen und nicht für multinationale Konzerne eintritt.
8. April 2017, 21:58
Schimpfkanonaden von Los de Abajo: "Nos quieren joder"
Nach der Freude über das Ende der Diktaturen in vielen Ländern Lateinamerikas in den 1980er Jahren wurde der Subkontinent von Schulden- und Finanzkrisen erfasst: 1994 Mexiko, dann Ecuador, Brasilien, Uruguay und schließlich Argentinien. Marode Betriebe, ausgeplünderte Staatskassen, Schuldenberge und Millionen Arbeitslose waren die Folge.
"Finanzkrisen entstehen nicht aus dem Nichts! heißt es im Booklet zum Sampler "Mestizo Music. Rebelión en América Latina. Sie seien vielmehr die Folge einer Politik, die internationale Organisationen wie Weltbank und IWF den Entwicklungsländern in der ganzen Welt aufzwingen.
Widerstand!
"Die ungezügelten Kräfte des Marktes sollen's richten und alles in blühende Landschaften verwandeln. Doch das neoliberale Credo ist ein Trugschluss, vervielfacht die soziale Ungleichheit und bringt die Finanzkrisen erst hervor, konstatieren die "Mestizo Music"-Herausgeber. Profiteure seien allein Kapitalanleger und multinationale Konzerne.
Quer durch den Kontinent schließen sich Menschen zusammen, die sich dem "Diktat von IWF und Weltbank entgegenstellen: "Sie streiten, kämpfen und singen für eine Politik, die sich nicht zum Handlanger der multinationalen Konzerne macht, sondern für die Belange der Menschen eintritt, schreiben die Autoren weiter. Die Menschen starten Alternativen von unten, nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand.
Die von unten ...
So lautet die Übersetzung der 15-köpfigen Mestizo-Kapelle Los de Abajo. Schon mit ihrem Namen machen sie kein Hehl aus ihrer Herkunft und politischen Richtung. Ihr Mestizo-Rock bietet ein breites Spektrum von lupenreinem Cumbia über Tex-Mex-Rancheras aus dem Norden bis hin zu sanften Balladen.
Die aus Mexico City stammenden Musiker sind als glühende Anhänger der Zapatistenbewegung bekannt. Mehrere Wochen wohnten sie bei den indigenen Kämpfern für Autonomie und Landrechte im verarmten Bundesstaat Chiapas. Bei ihrer Kritik an der mexikanischen Regierung wegen Korruption und Verstrickungen in den Drogenhandel nehmen sich Los de Abajo kein Blatt vor den Mund: "Nos quieren joder - Englisch "They want to fuck us, Deutsch etwa "Sie wollen uns zur Sau machen - manifestieren sie in ihrem Antimilitär-Merengue "Joder.
Feindbild IWF
"Der Internationale Währungsfonds hinterlässt seine Stiche auf der Welt, sieh zu, dass er dich nicht sticht, singen Karamelo Santo in ihrer Nummer "La picadura. "Der IWF ermordet deinen Bruder und kassiert dich dafür noch ab, heißt es bei der aus sieben Musikern bestehenden Combo aus Argentinien weiter: "Pass auf die Stiche auf!
Ursprünglich aus Mendoza stammend, beschlossen die dank Dauerrotation auf MTV zu Rockstars Aufgestiegenen nach Buenos Aires zu ziehen, wo sie immer noch gegen Ausbeutung und Unterdrückung Lärm machen, wie die wörtliche Übersetzung ihres aktuellen Albums "Haciendo Bulla zeigt.
Es wird dir nicht gefallen
Eine Mischung aus Rock, Ska, Reggae, garniert mit sozialkritischen Texten spielen NTVG - No te va gustar - von der anderen Seite des Rio Plata, aus dem Nachbarland Uruguay. Gegründet wurden "Es wird dir nicht gefallen - so die Übersetzung - 1994 in Montevideo, als die meisten der sieben Musiker gerade einmal 16 Jahre alt waren. Ihre ausgedehnten Touraktivitäten haben sie schnell in ganz Lateinamerika bekannt gemacht. So sind sie etwa mit dem Stück "No te quiero aca" - "Ich will dich hier nicht" - auf dem Anti-Bush-Sampler vertreten, der anlässlich des Besuchs des US-Präsidenten in Argentinien im November vergangenen Jahres veröffentlicht wurde.
Auch in Deutschland und Frankreich sind die in ihrer Heimat als Volkshelden verehrten Endzwanziger im Rahmen von ATTAC-Veranstaltungen aufgetreten, um ihre Solidarität zu zeigen. Von ihrer aktuellen CD "Aunque cueste ver el sol sticht besonders die Aufforderung hervor, den altgedienten Politikern, die zum Teil noch während der Militärdiktatur bis Mitte der 1980er Jahre an der Macht waren, nicht zu trauen. "Fueron ellos, warnt Frontmann und Gitarrist Emiliano Brancciari - "Sie waren es schließlich ..."
Revolucíon!
Auf den großen Openair-Festivals in Argentinien sind es NTVG und ihre Freunde von La Vela Puerca, einer weiteren Top-Mestizo-Rockband aus Montevideo, gewohnt, vor 200.000 Leuten zu rocken.
Auf ihrer gerade stattfindenden Europa-Tournee schätzen es No te va gustar nach eigenen Worten aber auch durchaus, in kleinen Clubs wie dem Wiener B72 zu spielen - zwar vor nur 150 Menschen; die aber haben dafür vor ein paar Wochen die bestens tanzbare Mischung aus Reggae und Rock umso frenetischer beklatscht. Up-Tempo-Nummern wie "Re(e)volución von der aktuellen Platte kommen - wen überrascht's - beim Mestizo-Rock-Publikum allerorten gut an. Kein Wunder, denn die Percussion-Uruguayer gelten auch im Nachbarland Argentinien als begnadete Trommler - und der Bläsersatz bringt auch des Spanischen Unkundige zum Wippen.
Übersee für Mitteleuropa
Damit die Mestizo-Rocker und ihre kritischen, bissig-zynischen Texte auch in unseren Breiten Gehör finden, hat sich das aus Hannover stammende Label Übersee-Records, die (lustvolle) Mühe gemacht, zwei Sampler mit "The Finest Ska and Punk from the Americas zusammenzustellen. Auf "Echte Übersee Records Vol. 1 und Vol. 2 finden sich neben anarchistischen Bands wie Desorden Público - "Öffentliche Unordnung" - oder Attaque 77 auch veritable Antiglobailsierungshits wie Pantéon Rococó's "La Carencia:
Schneller Salsa-Ska mit sarkastischen Texten gegen die Reichen und die Obrigkeit lautet bei dieser Nummer das Rezept dieser aus zwölf Musikern bestehenden Zapatistencombo: "In einer globalisierten Welt haben die Armen keinen Platz - so der Beginn des Refrains von "La Carencia. "Die Bedürftigkeit nach oben, die Löhne nach unten! - reimen Pantéon Rococó da zynisch: "Mit dem, was ich verdiene, kann ich mir nicht mal einen Drink leisten. Auf ihrer ausgedehnten und umjubelten Europa-Tournee 2003 haben die Mexikaner wohl einige neue Vokabeln gelernt und singen den Refrain ihres Hits seither auch für uns verständlich: "Nach oben, nach unten, und springen! - Dale pues!
Hör-Tipp
Spielräume Spezial, Sonntag, 26. März 2006, 17:10 Uhr
Mehr dazu in Ö1 Programm
Veranstaltungs-Tipps
Un Kuartito, B 72, 4. April 2006
Amparanoia, 20. April 2006, Szene Wien
Links
Articulation - Mestizo-Music-Bands
B 72 - Programmdetails
Szene Wien
Kulturfestival Onda Latina
Alternativengipfel Lateinamerika
Übersee Records