Alois Hotschnigs beunruhigendes Gegenwartsdestillat

Der Alltag und das Unheimliche

In seinem neuen Buch "Die Kinder beruhigte das nicht" richtet Alois Hotschnig sein Augenmerk auf das Surreale, wie es uns täglich befremdet. Massive Verstörungen treten in seinen Erzählungen zuweilen in niedlichen Puppenkostümen auf.

Alois Hotschnig über das Unheimliche

Alois Hotschnig ist Lyriker, Dramatiker und Prosaist. Nun hat der zuletzt mit dem Italo-Svevo-Preis ausgezeichnete Autor seinen ersten Erzählungsband veröffentlicht. In "Die Kinder beruhigte das nicht" beobachtet Alois Hotschnig Alltägliches auf subtil reduzierte Weise. Dabei riskiert er auch einige Exkurse auf die Ebene des Surrealen. Dennoch möchte er dem Band insgesamt den Stempel der "Unheimlichen Literatur" nicht aufgedrückt wissen, wie Alois Hotschnig in der Ö1 Sendung "Von Tag zu Tag" im Gespräch mit Günter Kaindlstorfer betont:

Das Unheimliche kommt als Wort in diesem Buch nicht vor. Es ging mir vordergründig nicht darum, mich damit zu befassen. In meinem letzten Roman, "Ludwigs Zimmer" habe ich mich mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. Diesmal wollte ich den Blick nicht in die Vergangenheit, sondern auf den gegenwärtigen "Alltag" richten. Alle Figuren in meinen Erzählungen sind erfunden. Ich konnte sie also so gutartig wie möglich, aber auch so bösartig wie nötig beschreiben.

"Ver-rückter Alltag"

In der Erzählung "Dieselbe Stille dasselbe Geschrei" belauert ein neu in die Siedlung am See zugezogener Hausbesitzer seine Nachbarn, zwei alte Eheleute, die sich den Großteil des Tages im Freien auf ihren Sonnenliegen aufhalten. Durch die Beschäftigung mit den nachbarlichen Ritualen dringt der Beobachter in deren Geschichte vor. Langsam wird seine eigene Verstörtheit angesichts des fremden Idylls erkennbar. Hier liegt eine Form der Unheimlichkeit vor, die, so Hotschnig, "nichts Surreales" an sich habe.

Überproportionale Persönlichkeitssplitterungen

Anders in der Erzählung "Eine Tür geht dann auf und fällt zu", in welcher eine alte Puppensammlerin den Erzähler in ihr Haus lockt und ihn mit einer Puppe seines Namens und Aussehens bekannt macht. Lange habe Karl, die Puppe, auf den echten Karl gewartet, erzählt ihm die Frau. Wenn sie der Puppe über das Haar streicht, kann das auch der echte Karl spüren. Fasziniert von den eigenartigen Vorkommnissen, kommt Karl häufiger auf Besuch und trifft auf sein Puppenkonterfei.

Die Selbsterkennung wird durch das magische Element ins Überproportionale übertragen. Es ist allerdings, so Alois Hotschnig, der sich selbst als "Multipersönlichkeit" betrachtet, "keine großartige Tragödie nötig, um massive Verstörungen darzustellen." In allen Geschichten geht es um Fragen der Identität. Trifft man im Traum auf eine verrückte Version des Ich, so ist diese zwar irreal, aber dennoch Teil der eigenen Persönlichkeit, meint der Autor. Es ist diese Art von Verrücktheit, die er, von banalen Alltagssituationen ausgehend, in seinen Geschichten in Szene setze, so Hotschnig.

Die Logik des Traums

In "Der Anfang von Etwas" wird die Selbstentfremdung beim morgendlichen Blick in den Spiegel auf unheimliche Weise thematisiert. Nicht nur erkennt der Protagonist sich selbst nicht wieder, seine Erinnerungen verschwinden, sobald sie auftauchen. Durch einen Brief, den er über Dampf hält, um ihn ungeöffnet lesen zu können, werden seine Selbstzweifel verstärkt. Mühsam entzifferte Sätze wie "Etwas liegt gegen mich vor" und "Man wird mich holen" bringen ein kafkaeskes Verdachtsmoment ins Spiel.

Alois Hotschnig hat sich beim Schreiben seiner Erzählungen die Lust und Spannung gestattet, die Grenzen des reinen Beobachtens zu verlassen. Indem er die Logik des Traums in die Geschichten einflicht, bewirkt er eine Befreiung des Lesers. Durch die Irritation; durch das Verschwimmen der Wahrnehmungsebenen macht der Text dem Leser eine Türe auf - in seine eigene Wahrnehmung hinein.

Hör-Tipps
Von Tag zu Tag, Mittwoch, 15. März 2006, 14:05 Uhr

Kulturjournal, Freitag, 17. März 2006, 16:30 Uhr

Ex libris, Sonntag, 19. März 2006, 18:15 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendungen "Von Tag zu Tag" und "Ex libris" nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipp
Alois Hotschnig, "Die Kinder beruhigte das nicht", Verlag Kiepenheuer & Witsch, ISBN 3462036858

Mehr zu Alois Hotschnig in oe1.ORF.at

Link
Kiepenheuer & Witsch - Die Kinder beruhigte das nicht