Wie Frauen den politischen Islam beeinflussen wollen

Ein feministischer Koran?

Im größten muslimischen Staat der Welt herrscht Meinungsvielfalt. Während Fundamentalisten ihre rigide Interpretation der Scharia durchsetzen wollen, setzen sich gemäßigte Muslime und muslimische Feministinnen für mehr Demokratie, Menschen- und Frauenrechte ein.

Lily Zakiya Munir über die Chancen einer Rechtsreform

Nach Ansicht indonesischer Feministinnen widerspricht das derzeit gültige kodifizierte Recht dem Geist des Islam. Der Koran sei zum Wohle der Menschheit und damit auch der Frauen geoffenbart worden. Das von männlichen Juristen geschaffene Recht sei aber durchwegs genderungerecht, wird argumentiert. Eine Rechtsreform im demokratischen Inselstaat sei daher nicht nur notwendig, sondern unumgänglich.

Ein Buch voller Widersprüche

"Der Koran wurde geoffenbart, um Gerechtigkeit zu bringen. Wenn aber die Hälfte der Menschen unterdrückt wird, dann kann wohl die Interpretation nicht stimmen“.

So drücken kämpferische Indonesierinnen ihre Meinung über die zahlreichen Auslegungen des Koran aus. Auch Nelly van Doorn, eine Religionswissenschaftlerin an der Valparaiso Universität in den USA bestätigt dies. Der Koran sei - ebenso wie die Bibel - ein Buch voller Widersprüche. Und obwohl sich in Indonesien - dem größten muslimischen Staat der Welt - etwa 90 Prozent der 225 Millionen Einwohner zum Islam und seinen Lehren bekennen, sind die Interpretationen darüber höchst unterschiedlich. Während sich nämlich in dem Inselstaat gemäßigte Muslime und muslimische Feministinnen für mehr Demokratie, Menschen- und Frauenrechte einsetzen, wollen die erstarkten Fundamentalisten ihre rigide Interpretation der Scharia durchsetzen.

Das Gender-Unrecht

"Die riesige Kluft zwischen den Lehren des Islam und der Realität in unserem Land besteht vor allem deshalb, weil die Muslime ein so enges Verständnis der Scharia - der göttlichen Rechts- und Werteordnung - haben. Sie verstehen darunter zumeist nur Fiqh - die Kompilation des islamischen Rechts. Fiqh ist aber nur einer von drei Teilen der Scharia. Die anderen zwei Teile sind Tauhid - Theologie - und Tasawwuf - Ethik und Spiritualität“, erklärt Lily Zakiya Munir, die Leiterin des Zentrums für islamische Religionsschulen und Demokratiestudien in der indonesischen Hauptstadt Jakarta.

Lily Munir, die im Kampf um die Gleichstellung der muslimischen Frauen bereits zahlreiche Mitstreiterinnen hat, meint daher, die Scharia sollte künftig umfassend gesehen werden - mit dem rechtlichen, theologischen und ethischen Teil. Fiqh - das Rechtssystem - sollte vor allem die universellen Werte des Islam wie Gerechtigkeit, Gleichheit und eine gute Beziehung zwischen Frauen und Männern widerspiegeln. Die Realität sieht aber ganz anders aus ...

Frauen als Menschen zweiter Klasse

In Indonesien gilt derzeit großteils säkulares Recht, das Familienrecht aber beruht auf der Scharia. Um eine einheitliche Anwendung des Familienrechts in dem großen, mehr als 14.000 Inseln umfassenden Land zu erreichen, wurde schon vor dem Rücktritt von Staatschef Suharto 1991 eine eigene Kompilation des islamischen Rechts erlassen. Von Gendergerechtigkeit ist darin allerdings keine Rede. Im Gegenteil! Es diskriminiert Frauen und macht sie zu Menschen zweiter Klasse.

In dieser Kompilation sind etwa Regelungen enthalten, wonach eine Frau gegenüber ihrem Ehemann unterwürfig zu sein hat, andernfalls sie als rebellisch gilt, oder dass sie ihrem Mann stets sexuell zu Diensten sein muss, andernfalls sie von Engeln verflucht wird, oder dass sie das Haus nur mit Erlaubnis ihres Mannes verlassen darf.

Nach den Lehren des Islam soll aber der biologische Unterschied der Geschlechter keinesfalls unterschiedliche Rechte der Geschlechter begründen. In den fünf Grundrechten der Islam-Lehre - dem Recht auf Religion, dem Recht auf Leben, auf Fortpflanzung, auf Gedankenfreiheit sowie dem Recht auf Wohlstand und Besitz - sind Frauen wie Männer gleichberechtigt.

Der Gegenentwurf zur Kompilation

"Wir müssen ein Fiqh schaffen, das die humanistische Seite des Islam widerspiegelt, besonders auch was die Frauen betrifft", sagt Lily Munir. Ein rechtlicher Gegenentwurf zur Kompilation soll nun die patriarchalen Werte und die von religiösen Autoritäten mit der Religion gerechtfertigte Diskriminierung aufweichen. Er wurde von einer Gruppe von Rechtsgelehrten erarbeitet, darunter auch solchen, die im 1999 gegründeten Team für das Empowerment von Frauen im Ministerium für Religiöse Angelegenheiten tätig sind. Musdah Mulia, die Leiterin der Abteilung für Religionsforschung und Soziale Belange, fordert darin weitreichende Änderungen, vor allem im Ehe- und Scheidungsrecht:

"Derzeit gilt die Ehe immer als Bund zwischen Männern und Männern, zwischen dem Bräutigam und dem Vater der Braut. Wir sagen: Die Ehe ist ein Bund zwischen Mann und Frau, der mit dem Einverständnis beider Ehepartner geschlossen wird. Wir erkennen nicht an, dass ein männlicher Vormund für die Frau den Ehepartner wählt, wie dies in der Kompilation steht. Ebenso sollen Ehemann und Ehefrau die gleichen Rechte und Pflichten haben, auch bei der Scheidung", fordert Musdah Mulia.

Aufbruchstimmung trotz fundamentalistischer Tendenzen

Der Gegenentwurf wird derzeit von Rechtsgelehrten sowie an den islamischen Universitäten Indonesiens geprüft. Ob er vom Parlament angenommen wird, ist allerdings nicht vorherzusagen. Lily Munir dazu: "Ich denke, es wird ein langer Prozess mit viel Widerstand werden. Aber zumindest hat er bereits zu öffentlichen Debatten geführt. Nun liegt es an uns, Lobbyarbeit und Bildungsarbeit zu machen und zu mobilisieren".

In den Pesantren, den islamischen Internaten, werden daher schon längere Zeit regelmäßig Workshops und Seminare über die politischen Rechte von Frauen abgehalten. Derzeit bilden Frauen auch Nichtregierungsorganisationen aus den beiden großen gemäßigten muslimischen Massenorganisationen, der Nahdatul Ulama und der Muhammadiya, um sich z. B. für die Rechte von Arbeiterinnen einzusetzen: "Gesellschaftliche Normen sind dynamisch und verändern sich. Das Gleiche glit für die Rechte der Frauen. Wir sind jedenfalls trotz der aufkommenden fundamentalistischen Tendenzen in unserem Land optimistisch, weil wir ein demokratisches Land sind. Und Herausforderungen wie jene gehören eben zu unserem täglichen Kampf".

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Donnerstag, 9. März 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
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Links
Qantara.de - Dossier "Feministischer Islam"
Wikipedia - Indonesien
Wikipedia - Koran
Wikipedia - Internationaler Frauentag