Vom Frauenhaus zum Anti-Gewalt-Programm

Warum schlagen Männer?

Schätzungen zufolge ist jede fünfte Frau gewaltsamen Übergriffen von männlichen Familienmitgliedern ausgesetzt. Rosa Logar, Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, spricht über Ursachen und Präventionsmöglichkeiten.

Rosa Logar über Gewalt in der Familie

Michael Kerbler: Frau Logar, wenn wir von Gewalt im privaten Bereich sprechen, sind die Opfer laut Statistik 95 Prozent Frauen und 5 Prozent Männer. Ist Gewalt männlich?
Rosa Logar: Das Bild, das wir hier sehen, ist eindeutig und klar: Gewalt in der Familie ist eine geschlechtsspezifische Sache. Abgesehen von der individuellen Komponente gibt es die historisch gewachsene Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, die letztendlich zu Gewalt führt. Gewalt gegen Frauen ist ein gesellschaftliches Phänomen.

Sie tragen eine weiße Schleife am Revers: das White Ribbon, welches für das Anti-Gewalt-Programm der Männerberatung Wien steht.
Das Anti-Gewalt-Programm wird von Männern in Anspruch genommen, um nach einer Wegweisung nicht rückfällig zu werden. Während des 10-tägigen Betretungsverbots bekommen die Opfer Unterstützung von den Interventionsstellen. Das heißt, wir warten nicht, bis sie den Weg in eine Hilfseinrichtung finden, sondern werden aktiv tätig, rufen an, fragen nach, bieten Hilfe an. Es ist ein sehr wichtiges Signal, dass die Gesellschaft den Betroffenen von Gewaltverbrechen aktives Interesse entgegenbringt.

Was halten Sie von einem verpflichtenden Anti-Gewalt-Training für alle weggewiesenen Männer?
Ich würde sagen, dass drei Viertel dieser Männer die nötige Kooperationsbereitschaft für eine sinnvolle Anwendung des Anti-Gewalt-Trainings mitbringen. Das Problem ist, dass der erste Schritt oft nicht gemacht wird. Die Justiz hat die Möglichkeit, jemanden, als Alternative oder als Zusatz zu einer Strafe, zum Anti-Gewalt-Training zu verpflichten.

Würden Sie nach zehn Jahren Praxis dem Gesetzgeber die eine oder andere Adaptierung empfehlen?
Ja. Die Einstweilige Verfügung sollte von drei Monaten auf sechs oder sogar zwölf Monate verlängert werden. Was wir sehr begrüßen, ist die am 1. Jänner 2006 in Kraft getretene Strafprozess-Novelle, durch welche die Opferrechte in der traditionell sehr täterorientierten Strafjustiz stärker etabliert wurden. Gewaltopfer haben nun das Recht auf psychosoziale Prozessbegleitung, um sekundären Traumatisierungen während des Prozesses vorzubeugen. Nun wird es darauf ankommen, welche Mittel die Gesellschaft für die tatsächliche Umsetzung bereitstellen wird.

Eine weitere Maßnahme besteht darin, dass Opfer nun über die Entlassung des Täters aus der U-Haft informiert werden müssen. In der Vergangenheit gab es mehrere schwere Gewalttaten, bis hin zum Mord, die daraus resultierten, dass Opfer nicht informiert wurden.

Wo besteht der größte Handlungsbedarf in diesem Themenfeld?
Ich orte den Handlungsbedarf auf einer europäischen Ebene. Es ist wichtig, den Betroffenen klar zu machen, dass Gewalt gegen Frauen in allen europäischen Ländern verboten ist. Dass wir alle am gleichen Strang ziehen. Wir alle möchten, dass die Familien ohne Gewalt leben.

Mehr dazu in Ö1 Programm

Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 2. März 2006, 21:01 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

CD-Tipp
"Im Gespräch Vol. 7", ORF-CD, erhältlich im ORF Shop

Links
Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie
Verein autonome österreichische Frauenhäuser
Männerberatung Österreich
White Ribbon Kampagne Österreich
oesterreich.ORF.at - Filmfestival FrauenWelten