Die frühen Werke
Zur Person Daniel Kehlmann
Beim Erscheinen seines Debütromans wurde Daniel Kehlmann als geborenes Literatur-Genie angepriesen. Das war wohl Werbung, denn wie jeder Schriftsteller brauchte Kehlmann ein paar Jahre und ein paar Bücher, um seinen Stil zu vervollkommnen.
8. April 2017, 21:58
Als der Deuticke-Verlag in seiner Vorschau für das Frühjahr 1997 "Beerholms Vorstellung" präsentierte, hielt er sich nicht lange damit auf zu kleckern. Ein "sensationeller Debütroman" eines "jungen, hoch talentierten Schriftstellers" wurde da angekündigt. Daniel Kehlmanns Erstling wurde als "Spitzentitel" ausgewiesen, für den der Verlag nicht nur in heimischen Zeitungen, sondern auch in der "Zeit", der "FAZ" und der "Süddeutschen Zeitung" Inserate zu schalten versprach. So etwas soll Buchhändler zu großzügigen Bestellungen animieren.
Erblickte die Münchner "Abendzeitung" in "Beerholms Vorstellung" einen "Fall früher Meisterschaft", so lässt sich dem rückblickend entgegen halten, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist. Man scheut sich, im Falle eines Autors, der gerade mal 30 Jahre alt ist, von "Frühwerk" zu sprechen. Dennoch lässt sich feststellen, dass der ganz frühe Kehlmann eben noch nicht der Kehlmann war, der es nun mit der "Vermessung der Welt" zum meist beachteten und vor allem meist verkauften Autor des deutschen Sprachraums gebracht hat.
Ein bisschen altklug
Dennoch zeichnen sich bei Kehlmann von Beginn an die Umrisse einer Karriere ab: Hier schreibt kein ungestümer angry young man, der den Schweiß der tatsächlichen oder angemaßten Lebenserfahrung in Druckerschwärze verwandeln will, sondern einer, der - eher ein bisschen altklug als authentizitätsversessen - ein literarisches Werk auf die Schienen bringen will. So finden sich zum Beispiel Personenkonstellationen und Handlungselemente von Kehlmanns 2003 erschienenen satirischen Roman "Ich und Kaminski" bereits in der fünf Jahre davor erschienenen Erzählung "Unter der Sonne".
Da weiß einer ganz offensichtlich, wo es lang gehen soll, und Kritik und Leser merken das auch. Für Walter Hinck, der "Unter der Sonne" für die "FAZ" bespricht, steht fest, "dass sich Kehlmann weder der Avantgarde anschließt noch jenen Kultur- und Literaturkonzepten, deren Namen mit der Vorsilbe "post-" beginnen."
Kein Thema Nummer eins
Die literarische Position ist klar: Statt sich an der österreichischen Nachkriegsavantgarde abzuarbeiten oder ihr gar epigonal hinterher zu hecheln, wendet sich Kehlmann einem eher angloamerikanisch geprägten Erzählen zu, das mit Updike allerdings mehr anfangen kann als mit Thomas Pynchon. Thematisch unterscheidet sich Kehlmann von Updike doch beträchtlich: Ein Werk eines jungen Mannes, in dem das Thema number one eine dermaßen marginale Rolle einnimmt, wie in dem von Daniel Kehlmann, wird man wohl gar nicht so leicht finden. Da bebt die Erde, da wackelt der Kosmos, aber mit Sex hat das gewiss nichts zu tun:
Für einen Moment verschwamm der Boden unter seinen Füßen, und alles kippte in eine seltsame Unwirklichkeit.
Wenn der Protagonist der noch etwas ungelenk daher kommenden Erzählung "Bankraub" wegen einer versehentlich an ihn überwiesenen riesigen Summe weiche Knie bekommt, dann tun sich Abgründe von ethischer und philosophischer Relevanz auf.
Die hohen Sphären der Metaphysik
Kehlmann rückt seine Figuren gerne an den Abgrund. Sie sind Taumelnde, aber nicht in den Niederungen der eigenen Triebe, sondern bevorzugt in den hohen Sphären von Metaphysik und Mathematik. Arthur Beerholm, Theologe und Magier, der an der Durchlässigkeit der vorgeblich fest gefügten Realität fast irre wird und die Wirklichkeit leichter beeinflussen kann, als ihm lieb ist, stellt bereits eine, wenn auch noch etwas anämische Variante des Kehlmann'schen Forscher-Heros dar, dem Raum und Zeit aus den Fugen geraten.
Ein mathematischer Strahlenkranz erstreckt sich von mir über den Horizont in eine sinnlose Unendlichkeit. Unzählbare Kurven gleiten durch die Leere und krümmen sich auf Linien zu, die sie nicht erreichen. Merkwürdige Allgegenwart der Geometrie.
Die Schwere des Abstrakten
Unter der Ambition, Hochabstraktes in die Erfahrungswelt seiner Helden und damit in die Sprache zu zerren, haben Kehlmanns frühe Bücher mitunter schwer zu tragen. Der kosmische Kitsch, an dem diese Beschwörungen des Unerhörten entlang schrammen, prägt auch den Sound von Kehlmanns zweitem, 1999 erschienenen Roman "Mahlers Zeit".
Für einen Augenblick sah er sich neben sich stehen; umflammt von Sonnenstrahlen, und das war Schwindel erregend und abstoßend, ihm war, als ob ein Strudel sich öffnete. Ein saugender, lebendiger Abgrund.
Mit Fleisch und Frischblut
Mit seinem nächsten, vier Jahre danach erschienen Roman "Ich und Kaminski", der den Kunst- und Medienbetrieb satirisch aufs Korn nimmt, ist es Kehlmann gelungen, dem konzeptiven Gerüst seiner Prosa etwas Fleisch aufzupacken und es mit Frischblut zu versorgen. Die Figuren werden glaubhafter und in einer Alltagswelt verankert, die nicht ständig vom Kollaps des Raum-Zeit-Kontinuums bedroht wird. Der Ton wird leichter, nicht zuletzt, weil ein Element auf den Plan tritt, von dem die Bücher davor weitgehend frei waren: Humor.
Wenn man für Dialektik etwas übrig hat, kann man "Die Vermessung der Welt" rückblickend als Synthese der vorangegangenen Anstrengungen betrachten: Die Wissenschaftsthematik wird mit einem Sinn für Komik fusioniert, der hier noch um einiges feinsinniger und subtiler geraten ist, als in dem mitunter auch etwas grob gestrickten "Ich und Kaminski". Neu hinzu kommt der historische Stoff. Man sieht also, dass auch die Bestseller nicht vom Himmel fallen: Kehlmanns jüngster und - bislang - mit Abstand bester Roman verdankt sich der systematischen Anstrengung, ein schriftstellerisches Werk in die Welt zu setzen, und nicht einfach bloß, ein Buch nach dem anderen zu schreiben.
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