Entwicklung seit 1945

Österreichische Kulturpolitik

Die Selbstdefinition Österreichs als Kulturnation hat Tradition. Wie wird in so einem Land, das sich als Kulturnation begreift, Kulturpolitik betrieben? Diese Frage versucht die Politikwissenschafterin Marion Knapp mit ihrem Buch zu beantworten.

Als "kleinen Staat mit großer Kultur" beschrieb Kanzler Leopold Figl Österreich in seiner Regierungserklärung vom 21. Dezember 1945. Einige Monate zuvor begeisterte das erste Konzert der Wiener Philharmoniker und die Wiederaufnahme des Opernbetriebs die österreichische Bevölkerung. Der Fortbestand bzw. die Wiedereröffnung von Kulturinstitutionen waren damals Symbole für die Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens.

Die Bedeutung, die in der Nachkriegszeit der Pflege des kulturellen Erbes zukam, wird von Marion Knapp durch ein weiteres Beispiel verdeutlicht: Einer der ersten kulturpolitischen Schritte war die Selbstverpflichtung des Bundes zur Förderung der Salzburger Festspiele. Und das zu einer Zeit, in der es manchmal noch an Essen mangelte.

Intensiv gepflegtes Erbe

In Österreich wird das kulturelle Erbe bis heute intensiv gepflegt. Das verdeutlicht Marion Knapps Analyse der Förderungspolitik des Bundes. Die Politikwissenschafterin arbeitet als Expertin für die Fachbereiche Kultur, Außenpolitik und EU in der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion. Für ihr Buch zog sie diverse Quellen heran: Statistiken zur Kulturförderung, Regierungs- und Parteiprogramme, stenografische Protokolle von Plenarsitzungen des Parlaments, Medienberichte und Fachliteratur. Knapp kommt zu dem Schluss, dass sich die Hauptadressaten der Förderungen seit dem Bestehen der Zweiten Republik kaum geändert haben.

Der "Rest", das sind vorwiegend Formen von Kultur, die in Österreich nicht traditionell verankert sind oder von Menschen mit einem engen Verständnis von Kultur nicht einmal als solche begriffen werden; Programme zur Fortbildung von Erwachsenen, unabhängige Kulturinitiativen und freie Radios etwa, aber auch Film und bildende Kunst.

Neuorientierung in den 1970ern

Eine erste Neuorientierung der in der Nachkriegszeit konservativ geprägten Kulturpolitik verortet Knapp in den 1970ern. Dem gesellschaftlichen Umbruch konnte sich auch die Politik nicht entziehen und reagierte mit einem Maßnahmenkatalog, mit dem die verstärkte Teilnahme der Bevölkerung am Kulturgeschehen erreicht werden sollte. Eine erweiterte Definition des Begriffs Kultur war ebenso die Folge.

Aus den Kulturberichten der vergangenen Jahre kann Knapp die Bereitschaft zur Förderung von alternativen Kunstprojekten oder Frauen in der Kunst nicht herauslesen. Ihre These untermauert sie in ihrem Buch mit einer Studie des Europarates. Diese wurde Anfang der 1990ger Jahre durchgeführt und kritisiert das überproportionale Gewicht, das den Einrichtungen der Hochkultur zukommt. Das Burgtheater, die Staatsoper oder die Salzburger Festspiele würden das Bild der Kulturnation zwar am Leben halten, gleichzeitig aber auch eine materielle und ideelle Belastung sein. Das könnte die Entfaltung einer freien Kulturszene materiell behindern oder diese gar verdrängen, so die Warnung des Europarates.

Wissenschaftlich fundiert

Marion Knapps "Österreichische Kulturpolitik und das Bild der Kulturnation" ist ein Buch für Menschen, die mindestens ein Bücherregal für Publikationen aus dem Bereich der Kultur- und Politikwissenschaft reserviert haben. Beachtlich ist das umfangreich zusammengetragene Material und die Vielzahl der Quellen, auf die verwiesen wird. Der akademische Sprachstil wird dem fast 400 Seiten starken Buch wohl nicht zum Bestteller-Status verhelfen. Knapp gelingt jedoch etwas anderes: Ein wissenschaftlich fundierter Beitrag zu Schwächen und Stärken der österreichischen Kulturpolitik.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Marion Knapp, "Österreichische Kulturpolitik und das Bild der Kulturnation. Kontinuität und Diskontinuität in der Kulturpolitik des Bundes seit 1945", Peter Lang Verlag, ISBN 363152837X