Der Mythos vom ewigen Kind

Mozart. Ein Leben

In den Köpfen der meisten hält sich die Vorstellung von Mozart als Kind: Sei es als herziger Bub, oder als der unreife, junge Mann mit einem Hang zur Unflätigkeit. Maynard Solomon hat dafür in seiner Mozart-Biografie viele Begründungen parat.

Als "gutes Kind" hat Mozart seinen Platz in einer wohlgeordneten Welt. Als ein "schlimmes Kind" vernichtet er als ein Undankbarer seinen eigenen Vater und seine Mutter. Als "unschuldiges Kind" werden seine Sexualität und dunkleren Seiten sublimiert zu Kunst.

Es ist die Familie, genauer gesagt, der Vater des Komponisten, Leopold Mozart, der den Mythos vom ewigen Kind begründet. Maynard Solomon zeichnet ihn in seiner Mozart-Biografie als rücksichtslosen Tyrannen. Er ist in der psychoanalytisch orientierten Sicht des Autors die Schlüsselfigur zum Verständnis des Menschen Wolfgang Amadeus Mozart.

Der Vater ist schuld

Leopolds Verdienst ist es, dass er das Talent seines Sohnes erkennt und fördert. Dafür wird das Wunderkind auch zum Ernährer der Familie. Allein 1767 erspielt der 11-Jährige zwischen 12.500 und 16.000 Gulden. Das ist das 50-fache von dem, was Leopold als erzbischöflicher Vizekapellmeister in Salzburg verdient.

Wenn es nach Leopold geht, dann soll das auch in alle Ewigkeit so bleiben. Er torpediert alle Versuche seines Sohnes, seinen eigenen Weg zu gehen, sei es sich zu verheiraten, aus Salzburg wegzuziehen oder sich als freier Komponist zu versuchen. Das, so Leopold, seien doch bloß "Narrspossen" und "lustige Träume".

Er war bestrebt, Mozart von der Gründung einer eigenen Existenz abzuhalten, weil er, davon war er überzeugt, ohne Mozart selbst keine eigene Existenz besaß.

Wolfgang Amadeus fügt sich lange Zeit. Sein Motto lautete:

Nach Gott kommt gleich der Papa.

Im Zwiespalt

Der Zwiespalt, ausbrechen und doch gehorchen zu wollen, und dann später, den Bruch zu riskieren, aber doch immer der Kindheit nachzutrauen, schlägt sich in Maynard Solomons Sicht in der Musik nieder. Der Autor führt etwa Mozarts langsame, kontrastreichen Adagio/Andante-Sätze an, die er als "neue, ausdrucksstarke Archetypen in der Instrumentalmusik" betrachtet.

Mozart spezialisiert sich auf die Präsentation einer Verschmelzung entgegen gesetzter Affekte wie Schönheit und Niedergeschlagenheit, Trotz und Schrecken, Sehnsucht und Zorn, Vergnügen und Schmerz. Er lehrt uns, was es bedeuten kann, wenn das Objekt des Verlangens zugleich die Quelle der Furcht ist.

Gesumdheitliche Probleme

Erst 1781, im Alter von 25 Jahren, reißt Mozart sich endlich los - wenn auch mit viel Schuldgefühlen - und übersiedelt nach Wien. Ab 1786 gibt er weniger Konzerte und verlegt sich eher aufs Komponieren.

Maynard Solomon spekuliert, dass Mozart an Arthritis gelitten haben könnte. Schon als Kind machten ihm Gelenksschmerzen zu schaffen. Der Autor zitiert einen frühen Biografen, der über Mozarts Unbeholfenheit schrieb:

Man weiß, dass er in den Gebrauch seiner Hände ausser dem Clavier sehr ungeschickt war, dass er nicht Fleisch schneiden konnte etc. und dass seine Frau ihm Fleisch wie einem Kinde schnitt.

Gegen Arthritis spreche jedoch, dass Mozarts Handschrift gestochen scharf blieb und auch seine Geschicklichkeit beim Billard nicht zu leiden schien. Vielleicht, so der Autor, sei auch diese Beschreibung des Komponisten vor einem Teller mit mundgerecht geschnittenem Fleisch ein Teil des Mythos von Mozart als ewigem Kind.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Maynard Solomon, "Mozart. Ein Leben", aus dem Amerikanischen übersetzt von Max Wichtl, Metzler Verlag, ISBN 3476020843

Links
Mozart 2006
Calling Mozart
Wiener Mozartjahr 2006
Salzburger Mozartjahr 2006