Friedrich Guldas unveröffentlichter Mozart

Guldas Mozart-Privatissimum

Sensation im Mozartjahr: Verschollen geglaubte Mozart-Einspielungen Friedrich Guldas hat dessen Sohn Rico entdeckt und herausgebracht. Nach der zehnjährigen Klassikabstinenz begann Gulda vor 25 Jahren, sich dem Klavierwerk Mozarts anzunähern.

1. Satz aus "Sonate in E-Dur KV 333" mit Gulda

Als sich Friedrich Gulda 1980 über die Einstudierung sämtlicher Mozart-Sonaten machte, war er genau 50 Jahre alt. Seine legendäre und - meiner Meinung nach - bis heute unübertroffene Interpretation der 32 Beethoven-Klaviersonaten lag bereits zwölf Jahre zurück. Danach hatte er sich ja (mit Ausnahme Bachs) als Pianist zehn Jahre lang vom Klassikbetrieb verabschiedet und sich ausschließlich dem Jazz und Eigenkompositionen gewidmet.

Mit bereits 20 Jahren war Friedrich Gulda am Klavier technisch und analytisch - wie Glenn Gould - nicht mehr zu überbieten. Er spielte Klassik, aber sie war für ihn keine Herausforderung mehr.

Transparenz und Radikalität

Doch jetzt, in der Mitte seines Lebens, fühlte er den Wunsch, sich künstlerisch mit Mozart auseinanderzusetzen, den er so lange vor sich her geschoben hatte und dem er sich doch am meisten verbunden fühlte - viel mehr noch als Beethoven oder Bach.

Die Klavierkonzerte des Salzburger Meisters hatte Gulda ja schon gespielt, doch die Klaviersonaten verlangten eine Art Transparenz und Radikalität, wie er es zuvor - scheinbar - nicht zu spielen gewagt hatte. Nicht zu vergessen: Die Zeit der großen historischen Mozart-Interpretationen hatte noch nicht begonnen und die Zusammenarbeit mit Nikolaus Harnoncourt lag noch einige Jahre entfernt.

Den Klassiker hat man auch heute so noch nicht gehört: schroff, kantig, mit hartem Zugriff; ein Mozart voller Widersprüche. In der "Fantasia in c-Moll KV 475" begegnet man allerdings auch einem mystisch-dämonischen Mozart. Vergleicht man mit den jüngeren, gesofteteren und von Gulda ja autorisierten Mozart-Veröffentlichungen, gewinnt man den Eindruck, an einer Art Privatissimum des Meisters teilhaben zu dürfen, an einer unerschrockenen, tabulosen Meditation zum Thema.

Suchende

Mozart heißt bei Gulda: kein seelenvolles Zurücklehnen, sondern musikalische Auseinandersetzung. Erlösung und Entspannung gibt es nicht. So sind es nur ergreifende Momente, die im 2. Satz der "Sonate B-Dur KV 333" Brücken zur stilistisch weit entfernten Romantik schlagen, um darauf gleich wieder in die Ausgangsituation zurückzukehren. Ein Versuch, den Gulda auch im 1. Satz vorlegt: straffe, kurze, epische Strecken, um nach modulativen Wendungen erneut das Anfangsthema (Reprise) anzustimmen.

Bei Friedrich Gulda wird Mozart zu einem Suchenden, Getriebenen, der die musikalischen Antworten in seinen Klavierkompositionen noch nicht finden kann, denn Gulda war davon überzeugt, dass die Sonaten motivisch erst in den jeweils zehn Jahre später komponierten Opern ihre Vollendung fanden und daher als Werkstücke zu betrachten seien.

In der "Klaviersonate C-Dur KV 330" scheint Gulda mit sich selbst um die Wette zu spielen, legt barocke Strukturen frei und schwingt kurz darauf in die grazile Wahrheit des galanten Stils ein.

"work in progress"

Was Gulda eigentlich mit den Aufnahmen vorhatte, bleibt ungewiss. Trotz Studioaufnahme lagen dem Label Deutsche Grammophon zur technischen Verarbeitung nur die zufällig aufgefundenen Audiokassetten vor. Und wen stört es da, dass Gulda manche Passagen zwischendurch zu sehr verschwimmen? Besticht doch, neben seinem Mitsummen, der große musikalische Bogen, die musikarchitektonische Strukturiertheit und das Wissen um dieses historische Dokument.

Eine gültige Lösung für Mozart schien Gulda für sich hiermit nicht gefunden zu haben. Man hat auch bis zuletzt das Gefühl des "work in progress"; einem Hineinhören in das Ringen eines Genies um eine nach Beethoven gültige Auseinandersetzung mit Mozarts Werk. Das Experiment blieb offen. Gulda wandte sich ab, indem er die Originalbänder und Kassetten seinem Tonmeister schenkte und sie damit verwarf. Dennoch zählen sie jetzt zu den spannendsten Dokumenten, die in den vergangenen Jahrzehnten veröffentlicht wurden.

Hör-Tipp
Divertimento, Montag, 17. April 2006, 17:10 Uhr

CD-Tipp
Wolfgang Amadeus Mozart, "the Gulda Mozart tapes", Friedrich Gulda, DG 2894776131-3

Links
Friedrich Gulda
Deutsche Grammophon
Mozart 2006
Mozart 2006 Salzburg
Wiener Mozartjahr 2006
Calling Mozart