Die Kultur des Tracks
Zwischen Experiment, Pop und Medienkultur
Wie wird sich die Musik der Zukunft anhören? Wie wird die Kultur aussehen, in der sie eingebettet ist? Und woher kommt diese Musik, was sind ihre historischen Wurzeln? Zwei Bücher zur heutigen Musikkultur suchen nach Antworten.
8. April 2017, 21:58
The Loop Orchestra: "radiophony", aus der CD zum Buch
Beide Bücher, sowohl "Techno-Visionen" als auch "Wenn sonst nichts klappt: Wiederholung wiederholen" sind profunde Bestandsaufnahmen der jüngsten Musikkultur. Diese ist vor allem voran von der fortschreitenden Digitalisierung gekennzeichnet, die ihrerseits wiederum einen prägenden Einfluss auf die Gestaltung und Wahrnehmung von Medienkunst ausübt, wie das etwa Werner Jauk im Buch "Techno-Visionen" ausführt.
Form statt Inhalt
Ein Eintreten in die Kultur des Tracks ortet Jochen Bonz in seinem Beitrag zum Buch "Techno-Visionen". Während in der alten Popkultur, im New Wave, die Signifikate regierten, die Inhalte, so Bonz, regieren in der neuen Popkultur die Signifikanten, die Zeichen.
Nicht allein deswegen, weil sich in ihrer scheinbaren Abwesenheit eine Art Vakuum gebildet hätte, sondern weil sie sie selber auf allen Ebenen der Produktion herstellt und im gleichen Atemzug auch Differenzen entwickelt.
Elektronische Musik würde nach Schubladen, Begriffen und Wiederholungen geradezu verlangen
Im luftleeren Raum der Postmoderne
Mit dem Aufkommen von Techno wurde plötzlich das Rundherum wichtiger als die eigentliche Musik, wie auch schon der Kulturkritiker und Musikjournalist Kodwo Eshun bemerkt hat das Label, die Platten- oder CD-Hülle, das Bild auf dem Cover, die Titel - sie entwickeln sich schnell zu zentralen Ausgangs- und Anhaltspunkten. Außerdem, so Bonz, haben die Rezipientinnen und Rezipienten in der Kultur des Tracks ständig die Angst davor, sich von ihren Referenzsystemen womöglich zu lösen, um dann haltlos im luftleeren Raum der Postmoderne zu schweben - auch deswegen benötigen sie Schubladen, Begriffe, Wiederholungen - Signifikanten eben.
Avantgarde-Zitat
Auch Martin Büsser setzt mit seinem Beitrag für das Buch "Techno-Visionen" in den 80er Jahren an, als die Popkultur in eine Art posthistorische Phase eingetreten ist, wie Büsser meint, und versucht hat sich mit Hilfe der Technik des Zitierens ihrer eigenen Geschichtlichkeit zu vergewissern.
Martin Büsser sieht in der Technobewegung keinen maßgeblichen Umbruch, ganz im Gegenteil: Die Entwicklung der elektronischen Musik würde genauso verlaufen, wie auch der Rest der Popgeschichte, den selben Blickwinkeln und historischen Prozessen unterliegen und Büsser hält es für äußerst fragwürdig, die elektronischen Spielarten der Popmusik als Avantgarde zu stilisieren:
Ganz ohne Wertung lässt sich sagen, dass vieles, was dabei als avantgardistisch angepriesen wurde, ebenfalls Zitat war, mitunter Avantgarde-Zitat: Die Bereiche musique concrète und die musikalischen Experimente von Komponisten wie John Cage, Iannis Xenakis und auch die Minimal Music wurden adaptiert.
Wiederholung wiederholen
Das Zitat, das Sample und der Sampler als die ideale Zitiermaschine sind natürlich auch ein viel besprochenes Thema in dem Buch mit dem Titel: "Wenn sonst nichts klappt: Wiederholung wiederholen" und Diedrich Diedrichsen holt in seinen Ausführungen noch ein wenig weiter aus, denn rege Anwendung fand das Zitat als künstlerisches Stilmittel schon lange vor den 80er Jahren, in der Kunst der Montage nämlich.
Wendung im Hip-Hop
Eine tatsächliche methodische Wendung hätte das Sampling in den Cut&Mix-Techniken der Hip-Hop-DJs genommen:
Denn beim Hip-Hop ging es zumindest in den ersten Jahren nicht um den Angriff auf das falsche Kontinuierliche und um die Dekontextualisierung hegemonialer Klangobjekte, sondern um Rekonstruktion unterbrochener Kontinuitäten afroamerikanischer Geschichte als Musikgeschichte und um die Rekontextualisierung der musikalischen Spuren dieser Geschichte in der neuesten afroamerikanischen Musik.
Die perfekte Kopie als Kunstwerk
Mercedes Bunz tritt in dem Buch "Wenn sonst nichts klappt: Wiederholung wiederholen" in einem Interview auf. Es geht unter anderem um die Kopie des Kunstwerkes, die in der Digitalität nun ihre Vollendung erfährt und um die Konsequenzen, die sich aus dieser Tatsache für Industrie, Gesetzgebung und den intellektuellen Diskurs ergeben. Allgemein hätte man sehr viel Mühe darauf verwandt, uns glauben zu machen, dass die Kopie gegenüber dem Original minderwertig ist. Es sei ein gezielt geführter Diskurs gewesen, der diese absteigende Ordnung unserer Kultur sorgfältig erzeugt hat.
Jetzt zeigt sich in der digitalen Kopie, dass Kopien den Status von Originalen erhalten können. Das sprengt die alte Diskursordnung und bringt die Verhältnisse unwiederbringlich durcheinander.
Der Diskurs um Filesharing und MP3 sei hier nur der Anfang.
Geschlechtergerechter Blick
Beide Bücher, sowohl "Techno-Visionen", als auch "Wenn sonst nichts klappt: Wiederholung wiederholen" liefern eine profunde Bestandsaufnahme der Musikkultur unserer Zeit, nur leider ist es in beiden Fällen wiederum ein vorwiegend androzentristischer Blick, der hier angesetzt wird.
Vielleicht sollten die Signifikanten in der Kultur des Tracks doch wieder mit mehr konkreten Bedeutungsinhalten aufgeladen, die Musik bewusst und kritisch im gesellschaftspolitischen Kontext verankert werden. Der Versuch eines Blickes in die Zukunft ist immer wieder wichtig, aber warum nicht dabei gleichzeitig Szenarien entwerfen, die von einer Geschlechtergerechtigkeit gekennzeichnet sind?
Hör-Tipp
Zeit-Ton, Donnerstag, 12. Jänner 2006, 23:05 Uhr
Buch-Tipps
Sandro Droschl, Christian Höller und Harald A. Wiltsche, "Techno-Visionen. Neue Sounds, neue Bildräume", Folio Verlag, ISBN 3852563011
Sabeth Buchmann, Alexander Mayer, Karolin Meunier, et. al., "Wenn sonst nichts klappt: Wiederholung wiederholen in Kunst, Popkultur, Film, Musik, Alltag, Theorie und Praxis", materialverlag und b_books/polypen, Buch + CD, ISBN 3933557631
Links
Folio Verlag - Techno-Visionen
b_books - Wenn sonst nichts klappt