Berühmte Kontroversen

Streithähne, Zankäpfel und Fehden - Teil 2

David gegen Goliath, Muhammad Ali gegen George Foreman: Unser kollektives Gedächtnis ist voll mit berühmten Kontroversen. Sie erzählen Geschichten von Überraschungssiegern und entzauberten Favoriten, gebrochenen Verlierern und listenreichen Strategen.

Am 26. September 1960 sitzen 60 bis 70 Millionen Amerikaner gebannt vor dem Fernseher und verfolgen die erste der vier TV-Konfrontationen zwischen dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy und seinem republikanischen Kontrahenten Richard Nixon.

Es war die "Mutter aller TV-Konfrontationen". Seit diesem historischen Datum ist der rhetorische Schlagabtausch vor laufenden Fernsehkameras zwischen Politikern ein Ritual in der modernen Mediendemokratie.

Ein schwerer Fehler

Der jugendliche Kennedy verkörperte all das, was Nixon nicht war und doch sein wollte: aus gutem Haus, auf den besten Schulen erzogen, intellektuell, allseits beliebt. Gegenüber einem solchen Mann vor den Augen von 70 Millionen Amerikanern schließlich nicht zu bestehen, war eine der bittersten Lebensenttäuschungen Richard Nixons.

Zur politischen Niederlage Nixons trugen verschiedene Faktoren bei, die jedoch eine gemeinsame Grundlage hatten, wie der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier meint: eine unzureichende Kenntnis über das Fernsehen im Wahlkampf, eine Fehleinschätzung seiner Wirkung auf Menschen und vor allem eine neue Phase des gesellschaftlichen Stellenwerts von Politik.

Veränderung des amerikanischen Lebensgefühls

Was Nixon die Wahl - nicht die TV-Konfrontation - verlieren ließ, war die Veränderung des amerikanischen Lebensgefühls in den 1960er Jahren, die später zum Widerstand gegen den Vietnamkrieg und zur Entwicklung alternativer Lebensstile führen sollte.

Noch waren die Wähler Kennedys zwar weit von jeder Hippie-Philosophie entfernt, was sie aber an Nixon störte, war der Mief der Eisenhower-Regierung, der 1960 noch an Eisenhowers Vizepräsidenten hing.

Schwerwiegender Irrtum

Aus heutiger Sicht scheint es ungewöhnlich, dass sich der republikanische Vizepräsident Nixon der Gunst der Medien und Zuschauer immerhin sicher genug war, um den insgesamt vier Fernsehduellen gegen Kennedy zuzustimmen. Doch Nixon glaubte 1960 bei vielen Amerikanern beliebt zu sein - und die meisten kannten ihn bereits.

John F. Kennedy hingegen hatte längst noch nicht den Status einer Legende, der ihn heute umweht, und galt als weitgehend unbekannter Liebling der Ostküsten-Intellektuellen. Nixon war überzeugt, dem Kandidaten der demokratischen Partei rhetorisch und argumentativ überlegen zu sein.

Der Sieg des Bildes über das Wort

Erstmals in der Geschichte des Wahlkampfes hatte jedoch das Bild über das Wort gesiegt. Zum ersten Mal habe das mediale Auftreten eines Kandidaten mehr Gewicht als seine politische Position erhalten, meint der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. Der unwiderstehliche Charme Kennedys, sein gutes Aussehen und überzeugendes Auftreten habe Amerika schon zu einer hohen Wahlbeteiligung mobilisiert.

Mit der Fernsehdebatte zwischen Kennedy und Nixon hat sich die Kultur der öffentlichen, politischen Diskussion entscheidend gewandelt. Die Vermittlung von komplexen politischen Inhalten ist in den Hintergrund getreten.

Nicht das überzeugend vorgebrachte Wahlprogramm sticht, sondern die klug gesetzte Pointe, ein apartes Lächeln an passender Stelle, ein überraschend gezücktes "Taferl" im richtigen Moment. Die Wahl der richtigen Krawattenfarbe kann ein schwächelndes Arbeitsmarktprogramm kaschieren. Das Performative dominiert das Inhaltliche in der politischen Fernseharena.

Kein wissenschaftlicher Beweis

Ob die medial inszenierten Rededuelle tatsächlich wahlentscheidend sind, lässt sich wissenschaftlich allerdings nicht beweisen.

Kennedy ging 1960 eindeutig als Sieger aus dem Fernsehstudio, in den Wahlurnen fiel sein Triumph gegenüber Nixon aber äußerst knapp aus. Politiker können Fernsehduelle gewinnen, aber dennoch Wahlen verlieren.

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