Maler der italienischen Renaissance

Das Leben des Andrea Del Sarto

Giorgio Vasaris 1550 erschienenen "Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten" gehören zu den informativsten Quellen der italienischen Renaissance. Als Einzelband ist nun "Das Leben des Andrea Del Sarto" erschienen.

Das "Neue" ist in der Kunstgeschichte ein dehnbarer Begriff, auch wenn er im Diskurs seit jeher eine zentrale Rolle einnimmt. "Neu" kann innovativ bedeuten, kann das noch nie Dagewesene bezeichnen, oder die Transformation von etwas Bekanntem und Bewährtem in einen anderen - eben "neuen" Kontext.

Was in der Kunst bis heute gilt, hatte in Italien des 15. und 16. Jahrhunderts erst recht seine Gültigkeit. Damals lebten auf der Apenninhalbinsel etwa zehn Millionen Menschen, in der Mehrzahl Bauern, deren größte Sorge das tägliche Überleben war. Von der künstlerischen Moderne, die sich zwischen Genua, Venedig und Florenz in einer Vielzahl von Bauwerken, Fresken, Tafel- und Altarbilder manifestierte und die später als Renaissance in die Kunstgeschichte einging, wussten diese Menschen nichts. Nicht nur in Italien, in ganz Europa waren Namen wie Cimabue, Giotto, Raffael, Bellini oder Michelangelo wenigen ein Begriff.

Der erste Kunsthistoriker der Neuzeit

Diese wenigen waren mächtig, wohlhabend und einflussreich. Nur deshalb konnte eine Künstlerelite das Neue wagen, nämlich das zu zeigen, "was alles der Kunst der Malerei möglich" sei. Dieser Satz stammt von Giorgio Vasari, selbst Maler, Architekt und - darin unterschied er sich von seinen Berufskollegen - erster Kunsthistoriker der Neuzeit.

Vasari stammte aus Arezzo, wurde dort 1511 geboren und stand den größten Teil seines aktiven Lebens in der Gunst der Medici in Florenz. Er sorgte für standesgemäße Festdekorationen ebenso wie für die Florentiner Stadtplanung, den Ausbau von Kirchen, die Errichtung repräsentativer Gebäude wie der Uffizien und für die Propagierung eines damals in der Tat neuen Gedankens: Der Künstler als Individuum sollte über seinem Werk stehen. Ein Gedanke, der heute den Kunstmarkt bestimmt. Der Wert eines Kunstwerks ergibt sich aus dem Wert des Künstlers, dessen Name wie eine Marke gehandelt wird und der sich dementsprechend vermarkten muss.

Subjektive Bewertungen

Vasaris Hauptwerk, "Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten", zählt immer noch zu den wichtigsten Quellen der Renaissanceforschung, auch wenn sein Stil für einen heutigen Leser etwas hölzern anmutet. Vasari legt keine Quellen offen, er verrät nicht, welche Informationen gesichert sind und welche nicht, er vermengt eigene Erfahrung mit Erfahrung aus zweiter Hand und er zögert nicht, seine Kollegen subjektiv zu bewerten. Andererseits fehlt ihm die geschmeidige Sprache eines Dichters, der Sinn für Spannungsaufbau und das Vermögen, für Bildbeschreibungen adäquate Sprachbilder zu finden.

Das komplexe Gebilde der menschlichen Psyche

Dennoch gehören Vasaris "Lebensbeschreibungen" zu den informativsten Quellen der italienischen Renaissance. Im Wagenbach Verlag, der diese "Lebensbeschreibungen" in illustrierten, neu übersetzten und kommentierten Einzelbänden herausgibt, ist nun "Das Leben des Andrea Del Sarto" erschienen, was insofern interessant ist, als Del Sarto Vasaris Lehrer war. Aber nicht bloß, dass der Schüler somit gut informiert war und private Details aus dem Alltag des Meisters zu verraten im Stande war, am Beispiel Del Sartos, der eine Karriere als Hofmaler des französischen Königs ausschlug, um bei seiner Frau in Florenz zu bleiben, taucht Vasari in die Psyche des Künstlers ein, der nun nicht bloß der getriebene Erfüllungsgehilfe seiner eigenen Genialität ist - man kennt ja etwa die Michelangelo-Mythologie.

Vasari, der Del Sartos Schwäche für die Ehefrau nicht nachvollziehen konnte und meinte, ein Künstler sollte leben wie ein Fürst, gleitet gerade durch sein Unverständnis in die Erkundung des Unterbewussten. Wenn der Künstler eher Mensch und weniger Genie ist, fragt sich Vasari, wenn jemand der Kunst neue Aspekte abgewinnt und zu handwerklicher Perfektion fähig ist, zugleich aber über ein weiches Gemüt verfügt und ein ruhiges Familienleben schätzt, muss die menschliche Psyche doch ein komplexeres Gebilde sein, als man annehmen möchte.

Genau deshalb ist Vasari, so antiquiert sein Stil auch anmuten mag, gleichzeitig so modern. So modern jedenfalls, um die Kunst der Renaissance, die uns heute so gleichförmig und bis auf wenige Ausnahmen ununterscheidbar erscheint, nicht einfach als höfische oder kirchliche Auftragsarbeit zu sehen, sondern als Manifestationen unterschiedlichster Gemütszustände und Charaktereigenschaften. Deshalb lernen wir Andrea Del Sarto als "zarten" Maler kennen, während Paolo Uccello "trocken" und Giotto "menschlich" ist.

Keine Freundschaft

Bei aller Modernität Vasaris sollte man aber nicht vergessen, dass er mit den Künstlern seiner Zeit nicht unbedingt in Freundschaft verbunden war. Alle, die es wagten, seinen kritischen Offenbarungen zu opponieren oder ihn als Künstler nicht neben die Größten der Zeit zu stellen, bemerkt Egon Friedell in seiner "Kulturgeschichte der Neuzeit", wurden von ihm mit der äußersten Rachsucht und Ungerechtigkeit verfolgt, wobei es ihm auf Fälschungen nicht ankam. Zahlreiche Künstler hat er auf diese Weise buchstäblich unmöglich gemacht.

Buch-Tipp
Giorgio Vasari, "Das Leben des Andrea Del Sarto", aus dem Italienischen übersetzt von Sabine Feser und Victoria Lorini, Wagenbach Verlag, ISBN 3803150299