Eine Bestandsaufnahme nach den EU-Beschlüssen

Zankapfel Zuckerindustrie

Die Landwirtschaftsminister der EU haben sich auf eine Einschränkung der Zuckerproduktion geeinigt. Für die Rübenbauern bedeutet das Einkommensausfälle. Die WTO-Ministerkonferenz in Hongkong könnte weitere Probleme bringen.

Bürgermeister Robert Freitag zu möglichen Auswirkungen

Höchst umstritten ist die von der EU im November beschlossene Neuordnung des Zuckermarktes. Die Agrarminister einigten sich dabei auf eine Preissenkung bei Zucker um 36 Prozent und eine Drosselung der Zuckerproduktion mit entsprechenden Ausgleichszahlungen für die Produzenten.

Die Auswirkungen dieser Reform werden in erster Linie die Bauernfamilien und ArbeiterInnen in Europa und in den Entwicklungsländern zu spüren bekommen. Denn Nutznießer dieser Übereinkunft sind - so glaubt ein Großteil der Wirtschaftsexperten - einzig und allein die großen internationalen Konzerne.

Wie kam es zur Reform?

Lange Zeit war Europas Zuckerproduktion ein lukratives Geschäft - sowohl für die Bauern, als auch für die verarbeitenden Konzerne. Die enormen Überschüsse kümmerten kaum jemand, sie wurden als so genannter "C-Zucker" mit saftig dotierten Preisstützungen weit unter den Produktionskosten auf dem Weltmarkt verkauft. Gleichzeitig blieb der Europäische Markt dem Welthandel bis auf wenige Ausnahmen für nicht-europäische Produzenten verschlossen. Das ging so lange gut, bis die Zucker exportierenden Staaten Brasilien, Thailand und Australien bei der WTO, der Welthandelsorganisation, geklagt und Recht bekommen hatten. Die Überschüsse in Europa mussten daraufhin eingedämmt werden.

Genau das haben die Landwirtschaftsminister der EU im November beschlossen. Die gesamte europäische Zuckerproduktion muss künftig um ein Drittel reduziert werden. Am stärksten betroffen sind dabei jene Staaten mit weniger produktiven Standorten für den Zuckerrübenbau, also etwa Finnland oder Irland sowie Mittelmeerländer wie etwa Griechenland, Italien oder Spanien. Aber auch Österreichs Produzenten sind davon betroffen, obwohl sie standortmäßig verglichen mit anderen Staaten noch begünstigt sind.

Österreichs Rübenbauern klagen an

"Als Rübenbauernvertreter kann ich mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein", sagt Ernst Karpfinger, der Obmann der Dachorganisation, die fast 10.000 Landwirte vertritt. Und weiter: "Landwirtschaftsminister Pröll hat zwar für Österreich ein Sonderpaket ausverhandelt, das Ausgleichszahlungen von insgesamt neun Millionen Euro vorsieht, hat also im Gegensatz zu anderen Staaten viel erreicht, dennoch trifft uns das neue System mit voller Härte, weil die vorgesehenen Preissenkungen auch für Österreich gelten."

Eine von seiner Organisation in Auftrag gegebene Studie bestätigt seine Vermutungen. Nach dieser Studie wird das Gesamteinkommen eines Rübenbauernbetriebs um elf Prozent sinken. Diese drastischen Kürzungen könnten mitunter auch Werksschließungen einer der drei österreichischen Zuckerfabriken bewirken, wie etwa jener in Hohenau.

Die Auswirkungen im Detail

Die Zuckerfabrik in Hohenau, die in den 1980er Jahren von der zum Raiffeisenkonzern gehörenden Firma Agrana übernommen wurde, gilt als eine der produktivsten und modernsten in ganz Europa. Eine Schließung des Werkes könnte nach den Worten des Bürgermeister in Hohenau, Robert Freitag, nicht nur für seine Gemeinde, sondern auch für die gesamte Region des östlichen Weinviertels gravierende Auswirkungen haben:

"Bei einer Schließung gingen nicht nur Arbeitsplätze verloren, auch der Finanzhaushalt der Gemeinde würde um einen großen Teil der Einnahmen fallen, und nicht zuletzt würde die Jugend zu den Verlierern zählen, denn auch die Lehrlingsausbildung würde wegfallen". Freitag gibt auch zu bedenken, dass bei einer Schließung auch das ganze Umfeld betroffen wäre. Die verschiedensten Branchen - so der Bürgermeister - seien mit der Zuckerfabrik eng verbunden - angefangen von den Landwirten über Kleingewerbebetriebe bis hin zum Transportgewerbe, und hier allen voran die ÖBB".

Das nächste Bedrohung

Neben jenen negativen Auswirkungen der EU-Reform könnten aber bei der derzeit laufenden WTO-Ministerkonferenz in Hongkong noch weitere hinzukommen; nämlich dann, wenn der Europäische Markt für den Import von billigem Rohrzucker geöffnet wird. Franziskus Forster von der Globalisierungskritiker-Organisation ATTAC wundert sich jedenfalls schon allein über den Titel dieser Konferenz:

"Die aktuelle Verhandlungsrunde bezeichnet sich als Entwicklungsrunde. Tatsächlich ist sie eine Marktzugangsrunde, die einzig und allein eine weitere Ausbeutung von Arbeitern und die Zerstörung von Regenwald verursacht". Auch Ernst Karpfinger schlägt in dieselbe Kerbe: "Die EU sollte bei den Verhandlungen endlich Flagge zeigen und einen fairen Handel ermöglichen. Vor allem sollten die Schutzzölle aufrechterhalten bleiben, sonst können wir wettbewerbsmäßig nicht mehr mithalten". Und Rudolf Remler-Schöberl von der österreichischen Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar ergänzt: "Bitte, verhindert, dass brasilianischer Zucker auf den europäischen Markt kommt, weil da klebt Blut dran".

Ausbeutung und Umweltschädigung

In Brasilien, das bereits jetzt der größte Zuckerproduzent der Welt ist und auf dem Weltmarkt vom Wegfallen der europäischen Überschüsse weiter profitieren wird, arbeiten die Erntearbeiter um etwa zwei bis drei Euro pro Tag, und das unter widrigsten sozialen Voraussetzungen. Auch Kinderarbeit wird nach wie vor geduldet. Durch die Öffnung des Marktes wird aber auch massiver Raubbau an der Umwelt ermöglicht. Pläne für die Erweiterung der Zuckerplantagen existieren bereits jetzt. Von den derzeit etwa 13,5 Millionen Hektar soll auf 210 Millionen Hektar erweitert werden. Dies würde nicht nur die Umwelt schädigen, sondern auch die von vielen geforderte Landreform in Brasilien verzögern.

Die Konsumenten in den reichsten Ländern Europas und Nordamerikas hätten nach den Worten von Rudolf Remler-Schöberl ohnedies nicht viel von einer weiteren Liberalisierung. Was à la long dabei herauskäme, wären billige Weltmarktpreise und satte Gewinne für einige wenige Zuckerbarone: "Wir müssen wegdenken von einer Export orientierten Landwirtschaft und mehr Chancengerechtigkeit für die Armen schaffen", fordert er.

Bauernopfer für die Industrie?

Auch die ärmsten fünfzig Länder der Welt bangen um ihre Zukunft. Die EU-Kommission hat eben deswegen bei den WTO-Verhandlungen den Vorschlag unterbreitet, jenen Ländern den Zugang zum Europäischen Markt zu ermöglichen. Im Gegenzug verlangt die EU allerdings, dass die Handelsbarrieren auf nicht-landwirtschaftliche Güter und Dienstleistungen abgebaut werden sollen.

Ein ungleicher Tausch zwischen Industrie und Landwirtschaft? Ein Bauernopfer für leichteren Marktzugang der Industrie? Franziskus Forster von ATTAC meint jedenfalls, dass es in der momentanen Situation günstiger wäre, wenn die WTO-Ministerkonferenz scheitern würde. Zu sehr sei die Situation schon angespannt. Dass sich knapp 150 WTO-Länder überhaupt auf irgendein Dokument einigen können oder sich gar ein Ergebnis erzielen lässt, daran glaubt sowieso derzeit kaum jemand.

Mehr zur WTO-Konferenz in Hongkong in Ö1 Inforadio

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Links
Hohenau aktuell - Zuckerfabrik
Agrarisches Informationszentrum - EU-Zucker-Kompromiss
EU - Landwirtschaft - Reform des Zuckersektors
WTO - World Trade Organization
Katholische Jungschar - Dreikönigsaktion
Österreichs Rübenbauern
Agrana