15 Monate mit Fridtjof Nansen

In Nacht und Eis

Der dänische Schriftsteller Klaus Rifbjerg hat Fridtjof Nansens Nordpol-Expedition zum Thema eines Romans gemacht. Im Mittelpunkt steht die Freundschaft zwischen Nansen und Hjalmar Johansen, seinem einzigen Begleiter zum Nordpol.

Fast vier Wochen lang waren Fridtjof Nansen und Hjalmar Johansen Richtung Nordpol unterwegs gewesen. Auf die tiefen Temperaturen - nachts bis zu minus 45 Grad Celsius, tagsüber meist um die minus 30 - waren sie vorbereitet gewesen, nicht aber darauf, dass es so schwer sein würde, sich einen Weg über das Eis zu bahnen. Sie hatten weite, ebene Flächen erwartet, nun aber mussten sie sich durch eine zerrissene, zerklüftete Landschaft schlagen, in der Rinnen, Spalten, Grate und Zacken immer wieder neue Barrieren bildeten.

Obwohl sie täglich zehn bis zwölf Stunden unterwegs waren, schafften sie meist nicht einmal die Hälfte der geplanten Wegstrecke - und damit zu wenig, um mit ihren Vorräten bis zum Nordpol zu gelangen. Dennoch setzten sie mit jedem Schritt, den sie taten, einen neuen Rekord: Noch nie war ein Mensch so weit nördlich gewesen wie die beiden. Den Maximalwert, 86°14' nördlicher Breite, erreichten sie am 8. April 1895.

Aufsehen erregende Konstruktion

Begonnen hatte die Expedition fast zwei Jahre zuvor, am 24. Juni 1893, mit dem Auslaufen des Forschungsschiffes "Fram" aus dem Hafen von Kristiania, dem späteren Oslo. Die "Fram" - der Name bedeutet so viel wie "Vorwärts" - war eine besondere Konstruktion, die einiges Aufsehen und vor allem auch viel Skepsis und Spott hervorrief.

Der Expeditionsleiter, der damals 32-jährige Zoologe Fridtjof Nansen, hatte das Schiff nach seinen speziellen Vorgaben bauen lassen: Es war außergewöhnlich kurz und breit und hatte die Form einer riesigen Nussschale. Damit würde sich wohl kaum weit segeln lassen, meinten viele, und sich mit diesem Gefährt ins Polarmeer begeben zu wollen, sei heller Wahnsinn. Nansen aber ließ sich nicht beirren. Schon ein paar Jahre zuvor, 1888/89, war ihm mit der Durchquerung Grönlands ein Unternehmen gelungen, an dessen Erfolg kaum jemand geglaubt hatte.

Nun trat Nansen in die damals immer stärker werdende internationale Konkurrenz um die Erreichung des Nordpols ein - und setzte dabei auf eine kühne Idee. Sie basierte auf der These, dass das polare Eis keine unbewegliche Masse sei, sondern von Osten nach Westen drifte. Daher plante Nansen, mit der "Fram" nach Nordosten zu segeln, an die Packeisgrenze vor der ostsibirischen Küste. Dort sollte das Schiff im Eis festfrieren, um dann mit der Drift westwärts zum Nordpol und von dort nach Grönland zu gelangen.

Die "Fram" hielt Stand

Am 24. September 1893 erreichte die "Fram" nördlich von Sewernaja Semlja die Packeisgrenze, einen Tag später notierte Nansen im Tagebuch: "Fester und immer fester eingefroren!", und am 9. Oktober: "Nachmittags entstand plötzlich ein betäubendes Getöse, und das ganze Schiff erzitterte. Es war die erste Eispressung."

Die "Fram" hielt dieser und vielen weiteren Eispressungen ohne Schäden Stand und begann tatsächlich auf dem Eis westwärts zu driften. Nun blieb Nansen und seinen Begleitern nichts anderes zu tun als zu warten: einen ersten polaren Winter, den folgenden, 24 Stunden taghellen Sommer, dann eine zweite dunkle Polarnacht. Allmählich jedoch stellte sich heraus, dass die Eisdrift nicht Richtung Nordpol führte, sondern südlich davon verlief. Nansens einzige Chance, den Pol zu erreichen, bestand darin, sich zu Fuß auf den Weg zu machen.

Am 14. März 1895 verließ er die "Fram", als Begleiter hatte er Hjalmar Johansen ausgesucht. Der 28-Jährige, der als Heizer auf der "Fram" angeheuert hatte, war Nansen durch seine Ruhe, seine Zähigkeit und seine Fähigkeiten als Schütze aufgefallen.

Gefährlicher Irrtum

Nansen hatte aber nicht nur die Beschaffenheit des Eises falsch eingeschätzt, sondern auch nicht wissen können, dass die Drift nicht nur in westliche, sondern auch in südliche Richtung ging. Das bedeutete, dass von zwei Schritten, die sie in Richtung Norden taten, sie einen vom Eis wieder zurück in den Süden getrieben wurden.

Nachdem sich Fridtjof Nansen und Hjalmar Johansen entschlossen hatten umzukehren, nahmen die Widrigkeiten ständig zu: Die Hunde starben an Entkräftung, die Uhren, die sie zur genauen Ortung ihres Standortes benötigten, blieben zeitweilig stehen, sodass sie ihre Route nur mehr ungenau bestimmen konnten, Johansen wurde einmal von einem Eisbären angefallen und beinahe getötet, ein Walross zerschlitzte eines der beiden Kajaks, die sie zur geplanten Überfahrt nach Spitzbergen benötigten.

Nach monatelangem Marsch durch die Eiswüste und der Überwinterung in einer Höhle, trafen sie im Juni 1896, also fünfzehn Monate, nachdem sie die "Fram" verlassen hatten, auf Franz-Joseph-Land durch Zufall auf eine britische Forschergruppe.

Glorreiche Rückkehr

Am 13. August 1896 erreichten Fridtjof Nansen und Hjalmar Johansen auf dem Schiff der Briten das nordnorwegische Vardö - und exakt am selben Tag kam auch die "Fram", ohne jeden Schaden und mit wohlbehaltener Besatzung, westlich von Spitzbergen wieder aus dem Packeis frei.

Wenig später wurden Nansen, Johansen und die Besatzung der "Fram" mit großem Jubel in Kristiania empfangen. Zwar hatten sie nicht den Pol erreicht - das sollte erst 1908/09 den Amerikanern Cook und Peary gelingen - aber sie hatten, auf Grund der vielen wissenschaftlichen Messungen, die Nansen während der Expedition hatte vornehmen lassen, wesentliche neue Erkenntnisse zur Beschaffenheit der Polarregion geliefert.

Service

Klaus Rifbjerg, "Nansen und Johansen. Ein Wintermärchen", Europäische Verlagsanstalt

Nobel-Preis - Fridtjof Nansen
Wikipedia - Fridtjof Nansen
UNHCR - Fridtjof Nansen