Die langen Schatten der Entschädigung
Die Büchse der Pandora auf Kroatisch
Wenn heute jemand Pandora und ihre Büchse ins Spiel bringt, handelt es sich dabei meist um etwas Unangenehmes. Besonders, wenn dies ein Politiker, in diesem Fall der kroatische Parlamentspräsident, macht. Das Thema: Entschädigungszahlungen an Österreich.
8. April 2017, 21:58
"Das Weib trug in den Händen ihr Geschenk, ein großes Gefäß mit einem Deckel versehen. Kaum angekommen, schlug sie den Deckel zurück, und alsbald entflog dem Gefäße eine Schar von Übeln und verbreitete sich mit Blitzesschnelle über die Erde." Alle, die mit dem Werk von Gustav Schwab aufgewachsen sind, wissen gleich, dass es im obigen Zitat um ein wunderschönes Weib namens Pandora geht.
Wenn jemand heute in den Medien Pandora und ihre Büchse ins Spiel bringt, kann man sicher sein, dass etwas sehr Unangenehmes dabei herauskommt. Wenn noch dazu Pandora und ihr Übel von Vladimir Seks, dem Präsidenten des kroatischen Parlaments (Sabor), in einer Nachrichtensendung des kroatischen Fernsehens erwähnt werden, dann sind die Zuseher gespannt, worum es geht - und man weiß gleich, dass es sich um ein heikles Problem handelt.
Der Präsident und seine TV-Ansprache
Vladimir Seks hat einen TV-Auftritt des kroatischen Präsidenten Stipe Mesic kritisiert. Am Sonntagabend des 27. November hat sich Mesic in einem speziell vorbereiteten Beitrag nach den wichtigsten Abendnachrichten an sein Volk gewendet. Solche Ansprachen an die Nation sollen das Bewusstsein des Volkes stärken und dieses gegen eine drohende Gefahr "mobilisieren". Und tatsächlich ist ihm dies gelungen. Denn seit seiner TV-Rede sind alle Zeitungen in Kroatien mit Diskussionen, Reaktionen und Kommentaren überflutet.
Das ist auch das Thema des Tages der kroatischen Bürger. Das "Übel", das aus der Büchse kam, heißt diesmal "Die Entschädigung". Konkret gesagt, geht es um Mesics Angriff auf ein Abkommen, das Premier Ivo Sanader vor zwei Monaten mit Österreich unterschrieben hat. Diesem Vertrag nach sollten alle Deutschstämmigen, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Österreich geflüchtet und nun Bürger dieses Staates sind, diese Entschädigung bekommen.
Mesic-Standpunkt zu Österreich
Man fragt sich, warum Herr Mesic erst jetzt und auf eine so "dramatische" Weise reagiert hat. Zu Beginn seiner Rede stellte Mesic fest, dass er in seiner Funktion als Staatsrepräsentant nicht über den Vertrag mit Österreich informiert worden sei. Weil diese Frage in den letzten Tagen mehr und mehr Aufmerksamkeit erregte, musste er seinen Standpunkt zu diesem Problem der Nation nun darlegen.
"Die offenen Fragen mit Österreich sind mit dem Staatvertrag, mit dem Österreich vor 50 Jahren wieder seine Unabhängigkeit erworben hat, reguliert. Jugoslawien war einer jener Staaten, der diesen Vertrag untergeschrieben hat", erklärte Mesic.
Kommentator widerspricht
Die Menschen in Kroatien stellen sich nun die Frage, ob dieses Abkommen überhaupt gerechtfertigt ist und der Kolumnist von "Vecernji list", einer der meistgelesenen Zeitungen in Kroatien, widerlegt dagegen die Ansichten von Staatspräsident Mesic.
"Die Volksdeutschen aus Slawonien, Baranja, Srijem, Backa und Banat wurden nicht aus Kroatien vertrieben. Das hat Jugoslawien und Titos Politbüro geschaffen", schreibt der Kolumnist. Und fügt weiter an: "Die kroatischen Behörden könnten das nur mit Begeisterung akzeptieren. Und trotzdem übernimmt das heutige Kroatien nun jene Sünden, die es nicht begangen hat."
Weitere Meinungen
Andere wieder, wie "Novi list" aus Rijeka, bringen das Beispiel Slowenien ins Spiel, das sich unter Berufung auf Kontinuität mit dem ehemaligen Jugoslawien aus einer ebensolchen Angelegenheit mit Österreich jeglicher Entschädigung entziehen konnte.
Im Kommentar vom 1. Dezember hat "Slobodna Dalmacija" (Das freie Dalmatien) aus Split eine ähnliche Sicht: "Mit dem Vertrag vom 19. März 1980 hat Österreich auf alle Ansprüche verzichtet". Dafür soll Jugoslawien damals angeblich 2,4 Millionen Schilling gezahlt haben. Für Österreich unterschrieb der damalige Außenminister Willibald Pahr.
Problematik der Entschädigungen
Die Frage der Entschädigung ist nicht nur in Kroatien ein kompliziertes, schwer zu verarbeitendes Phänomen. Diese traurige Geschichte ist angeblich nicht leicht zu bewältigen - aber was könnte aus Pandoras Büchse herasuskommen? Welche Übel sehen Journalisten und Bürger?
Das größte Übel scheint - zumindest nach dieser Presse-Lektüre - die Tatsache, dass auch die anderen Länder ähnliche Forderungen stellen werden. Und was dann? Wer könnte und wer wird das alles zahlen?
Wer denkt an die Opfer?
Beunruhigend ist dabei das Faktum, dass sich niemand mit den Opfern beschäftigt. Man schweigt über jene Menschen, die alles verloren haben, und die aus ihren Häusern und Geschäften fliehen mussten, nur um das eigene Leben zu retten. Es genügt schon zu behaupten, sie hätten schon von irgendjemandem irgendwann Entschädigung erhalten.
Ob das nun wirklich Tatsache ist und dem Verlust entspricht - davon ist kein Wort zu hören. Man rechnet nur, wie viel das Kroatien kosten wird und nicht, wie hoch der Preis war, den die Opfer bezahlen mussten.
Frankls Sinn-Frage
In seinem Buch "Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn" schreibt Viktor E. Frankl:
"Von Ameisen und Menschen - Menschliches Sein ist vor allem wesentlich geschichtliches Sein, ist jeweils in einen historischen Raum hineingestellt, aus dessen Koordinatensystem es sich nicht herausnehmen lässt. Und dieses Bezugssystem ist jeweils von einem, wenn auch uneingestandenen, vielleicht überhaupt unausdrückbaren Sinn her bestimmt. Das Treiben in einem Ameisenhaufen kann man daher wohl als zielstrebig bezeichnen, trotzdem aber nicht als sinnvoll; mit dem Fortfall der Sinnkategorie fällt jedoch auch das weg, was man geschichtlich nennen kann: ein Ameisen-Staat hat keine Geschichte."
Was bleibt, ist Hoffnung
In Pandoras Büchse ist nur das Gute geblieben - die Hoffnung. Auf Rat des Göttervaters hat Pandora den Deckel wieder zugemacht. So konnte die Hoffnung nicht in die Welt herausflattern und blieb für immer in diesem Gefäß.
Links
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