Musik, eine Sache fürs Herz

Alte Musik, wohin? - Teil 2

In den letzten 30 Jahren hat sich der Begriff Alte Musik gewandelt: Damals verstand man darunter vor allem Werke des Mittelalters und der Renaissance. In Teil 2 beleuchtet Fra Bernardo die Entwicklung dieses Genres, das in den letzten Jahren enorm boomt.

Noch vor 20 Jahren war Alte Musik eine Sache für wenige Spezialisten. Heute ist es modern geworden, sich auf Hörabenteuer in frühere Jahrhunderte zu begeben. Dass dies nichts mit einer Flucht in die heile Vergangenheit zu tun hat, sondern vielmehr damit, dass die Alte Musik uns heute mit ihren emotionellen Inhalt bewegt, hat der große Erfolg der CD mit der Musik zum Film "Die siebente Saite" gezeigt.

Jordi Savall, einer der Stars der Szene, dessen Musizieren wir im Vorjahr auch auf Schloss Ambras bewundern konnten, ist mit dieser Produktion sogar an die Spitze der Pop-Charts in Frankreich vorgestoßen. Dass es sich dabei zu einem großen Teil um unbekannte, jetzt erst wiederentdeckte Musik handelt, ist nur ein Grund für den Erfolg der Alten Musik beim Publikum.

Begeisterung auf beiden Seiten

Ein anderer ist die Eigenart dieser Musik, die mit ihren oft einfachen Strukturen, Rhythmen und gefühlvollen Melodien das Herz des Hörers - auch vieler junger Hörer - erreicht. Hinzu kommt die Art der Interpretation, die die Affekte der Musik hervorkehrt, mit ihren improvisatorischen Elementen oft an eine Jam session beim Jazz erinnert und die Begeisterung, die man den Musikern förmlich ansieht - eine Begeisterung, die sich auch auf das Publikum überträgt.

"Keines verbleibt in derselben Gestalt, und Veränderung liebend schafft die Natur stets neu aus anderen Formen, und in der Weite der Welt geht nichts - das glaubt mir - verloren": Diese Zeilen aus den Metamorphosen des Ovid sind auch auf die Verwandlungen im heutigen Musikleben und Konzertbetrieb zutreffend.

Begriffs-Wandel

Auch der Begriff Alte Musik hat sich gewandelt. Vor 30 Jahren hat man unter Alter Musik eigentlich nur die Musik der Renaissance, und hier war es vor allem die Vokalpolyphonie eines Palestrina und Orlando di Lasso, und die Musik des Mittelalters verstanden.

Dann gab es noch den Begriff der Barockmusik mit Bach, Händel, Schütz, Monteverdi, Corelli u.s.w. Heute bezeichnet Alte Musik nicht mehr Musik, die in einem bestimmten historischen Zeitraum komponiert wurde, sondern wohl mehr die Art, wie Musik interpretiert wird. Eben, wie es Hermann Hesse aus der Sicht eines Laien beschrieb und wie wir es z.B. bei den Innsbrucker Festwochen schon so oft gehört haben, mit dem Wissen und dem Umsetzen der Stilmittel der Zeit aus der die Werke stammen.

Entwicklung zu freiem Musizieren

Dass sich auch diese Aufführungspraxis in einer steten Metamorphose befindet, ja befinden muss, ist klar. Es gibt und darf einfach keine für immer und ewig gültige Interpretation eines Musikstücks geben. Liebhaber werden selbst in jeder Opern-Aufführung neben neuen Details auch feine musikalische Unterschiede zur vorhergehenden Aufführung heraushören können.

Insider der Alten Musik-Szene werden mir auch sicher recht geben, wenn ich behaupte, dass man sich in den vielen Jahren der Beschäftigung mit dieser Musik auch vom - beinahe sturem und absoluten - Erfüllen dessen, was in den Lehrwerken steht, wieder zu mehr freiem, spontanem Musizieren, natürlich unter Einbeziehen des Wissens um die historischen Quellen, hinentwickelt hat. Und gerade die Konzerte und Opern-Aufführungen in Innsbruck beweisen immer wieder, wie lebendig und neu Alte Musik sein kann.

Musik - eine Sache fürs Herz

Über der Frage und die oft heiß geführten Diskussionen der Interpretation Alter Musik dürfen wir aber eines - und wohl das Wichtigste - nicht vergessen: Den geistigen Inhalt dieser mehrere Hundert Jahre alten Werke.

Als künstlerisches Credo haben Komponisten des Barock immer Sätze wie die folgenden formuliert: "Musik soll das Herz rühren. Sie soll den Verstand in Bewegung bringen und zu Assoziationen anregen. Musik ist eine Sache fürs Herz."

Mehr zu Alter Musik in oe1.ORF.at:
Alte Musik, wohin? - Teil 1
Alte Musik, wohin? - Teil 3

Links
Classical Music Pages - Claudio Monteverdi (1567-1643)
Classical Music Pages - Giovanni Pierluigi da Palestrina (1525?-1594)
Goldberg - Ensemble Hesperion XXI
Festwochen Innsbruck