Zur Person: Hannah Arendt

Flucht, Emigration und Rückkehr

Am 4. Dezember 1975 starb die Publizistin und Wissenschaftlerin Hannah Arendt in New York. Dem Nationalsozialismus entkommen, analysierte sie die Gräuel totalitärer Systeme. Ihre Berichte vom Eichmann-Prozess in Jerusalem erregten weltweit Aufsehen.

Peter Lachnit, Rudolf Burger und Eva Kreisky im Gespräch

Als das Mädchen sieben ist, stirbt ihr Vater an den Spätfolgen einer Syphilis. Die geliebte Mutter - sie ist Bildhauerin und Anhängerin von Rosa Luxemburg - ist nun häufig auf Reisen und jedes Mal ängstigt sich das Mädchen, ob sie auch ja wieder zurückkomme. 1906, am 14. Oktober, ist sie dem Ehepaar Paul und Martha Arendt in Linden bei Hannover als Johanna geboren worden. Eine sozialistisch orientierte, jüdisch-assimilierte Familie.

Zuflucht bei Büchern

Als sie drei ist, erkrankt der Vater, ein Elektroingenieur, man übersiedelt nach Königsberg, die Hauptstadt Ostpreußens, die Heimatstadt der Eltern. Hannah ist 13, da heiratet die Mutter neuerlich, Hannah muss sie nun nicht nur mit einem Mann teilen, sondern auch mit zwei älteren Stiefschwestern, mit denen sie sich nicht besonders versteht. Sie verkriecht sich unter Büchern.

Mit 16 hat sie schon Kants Kritik der reinen Vernunft gelesen, Jaspers, Kierkegaard, und einen Lesezirkel für antike Schriften gegründet. Die Welt ist für sie ein verwirrender Ort, wo sie sich ungeschützt und hilflos fühlt. In einem Brief schreibt sie:

Der blödsinnige, von Jugend anerzogene Zwang, vor aller Welt immer so zu tun, als ob alles in bester Ordnung ist, kostet den besten Teil meiner Kraft.

Boykott des Unterrichts

Gar nichts ist für sie mehr in bester Ordnung, als einer ihrer Lehrer abfällige Bemerkungen über Hannahs Judentum macht: Sie ruft ihre Mitschülerinnen zum Boykott des Unterrichts auf. Mit Unterstützung ihrer Mutter. Die Folge: Ein Schulverweis. Hannah macht das Abitur extern, früher als ihre Klassenkameradinnen.

Studium der Philosophie

Hannah Arendt ist 18 und man schreibt das Jahr 1924, als sie für ein Studium der Philosophie, Theologie und klassischen Philologie in die kleine hessische Universitätsstadt Marburg übersiedelt. Mit ihrem Bubikopf und ihrer modischen Kleidung fällt sie einem 35-jährigen Philosophie-Professor auf. Der beobachtet sie erstmal zwei Monate lang, dann lädt er sie in sein Büro ein.

Ein Brief, den er 14 Tage später schreibt, belegt den Anfang physischer Intimität. Der Professor, ein braungebrannter Skifahrertyp, ist Martin Heidegger, nicht nur fast doppelt so alt wie Hannah, sondern auch verheiratet, mit Elfride, einer glühenden Antisemitin. Als diese eifersüchtig wird, setzt er Hannah unter Druck, Marburg zu verlassen.

Von Marburg nach Heidelberg

Hannah studiert weiter in Freiburg im Breisgau bei Edmund Husserl, dann in Heidelberg bei Karl Jaspers, der ihr Mentor wird und ihr ein Leben lang verbunden bleibt. Sie promoviert bei Jaspers 1928 über den Liebesbegriff bei Augustinus. Ein Jahr später lernt sie bei einem Kostümfest in Berlin einen Studenten Heideggers kennen, Günther Stern, und heiratet ihn.

Leben im Untergrund

Mit Günther Stern, den Hannahs Zigarrenrauchen nervt, lebt sie von der Hand in den Mund, in Berlin, in Frankfurt, wieder in Berlin, wo Stern seine literarische Laufbahn beginnt. Unter dem Namen Günther Anders. Nach dem Krieg wird er als Technologie- und Medienphilosoph sowie als Atomgegner bekannt werden. 1933 flieht Anders nach Paris ins Exil, de facto das Ende der Ehe.

Hannah arbeitet im Untergrund für die deutschen Zionisten, wird von der Gestapo kurz inhaftiert und flieht nun auch nach Frankreich, wo sie als Sozialarbeiterin in jüdischen Organisationen werkt und Walter Benjamin kennen lernt.

1935 reist sie erstmals nach Palästina. 1936, sie ist jetzt 30 Jahre alt, trifft sie in Paris auf den gleichfalls emigrierten Berliner Heinrich Blücher, Teilzeitjournalist und Vollzeitbohemien, Marxist und Ex-Anarchist, ein Autodidakt aus ärmlichen Verhältnissen im makellosen Dandy-Outfit. 1940 heiraten sie und bleiben 30 Jahre mehr oder weniger zusammen.

Inhaftierung, Flucht und Emigration

Um die Jahreswende 1940/41, die Deutschen haben mittlerweile Frankreich besetzt, wird Hannah Arendt für einige Wochen im berüchtigten Auffanglager Gurs interniert, danach gelingt ihr mit Ehemann und Mutter die Emigration in die USA, die ihr zur zweiten Heimat werden soll. Zunächst schreibt sie politische Kolumnen für die deutsch-jüdische Wochenzeitschrift "Der Aufbau". Dann wird sie Cheflektorin eines Verlags und schließlich Leiterin einer Organisation zur Rettung jüdischen Kulturguts.

Analyse totalitärer Systeme

In dieser Funktion kommt sie 1949 erstmals wieder nach Deutschland. Sie bagatellisiert vor sich und anderen Heideggers nationalsozialistische Verstrickungen. 1951 wird Hannah Arendt amerikanische Staatsbürgerin, es erscheint ihr Hauptwerk "Origins of Totalitarianism" ("Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft"), darin versucht sie zu verstehen und gedanklich zu durchdringen, worauf die meisten nur mit Verdrängung reagieren können: die Gräuel des Nationalsozialismus und des Stalinismus.

Hannah Arendt erhält eine Professur am New Yorker Brooklin College und hat eine schwere Ehekrise, weil Heinrich Blücher keine Gelegenheit auslässt, um fremdzugehen, gleichzeitig unterhält sie eine Beziehung zu Hilde Fränkel, der Geliebten eines verheirateten Theologen. Schließlich vereinbaren die Eheleute, sich gegenseitig Freiheiten zu gewähren.

"Vita activa oder Vom tätigen Leben" heißt Arendts handlungstheoretische Untersuchung von 1960. Darin unterschiedet sie drei Typen menschlicher Aktivität: die Arbeit, die Produktion und den Handel. Arendt analysiert, dass seit dem Beginn der Moderne die Arbeit zu Lasten der politischen Handlungsfreiheit überhöht wird.

Der Eichmann-Prozess

Die Zeitschrift "New Yorker" schickt Arendt 1961 zum Eichmann-Prozess nach Jerusalem. Ihre Berichte werden vor allem von jüdischer Seite heftig kritisiert, weil sie den Judenräten Mitschuld am Holocaust gibt, der von den Nazis eingesetzten Selbstverwaltung der Ghettos. Der Religionswissenschaftler Gershom Sholem bedauert, dass es Arendt an Liebe zu den Juden mangle.

Ein Jahr später erscheinen die Beiträge als Buch: "Eichmann in Jerusalem". Der Untertitel wird zum geflügelten Wort: "Die Banalität des Bösen". Hannah Arendt wird Professorin für politische Theorie an der Uni Chicago. Sie lernt den Schriftsteller Uwe Johnson kennen und schätzen.

Vietnam-Krieg und Unruhen

1970 veröffentlicht sie ihre Studie "Macht und Gewalt". Motiviert durch den Vietnam-Krieg, die Studentenunruhen der 1960er Jahre und die Rassenunruhen in den USA untersucht sie hier das eigentümliche Verhältnis zwischen der Macht, die ein genuin politisches Phänomen ist, und der Gewalt, die höchstens in den Randbereichen des Politischen auftreten sollte, will man nicht das Politische selbst gefährden.

"Mit den Politikwissenschaften bin ich jetzt fertig. Ab jetzt und für die Zeit die mir noch bleibt, beschäftige ich mich mit transpolitischen Themen", so Arendt. Viel Zeit bleibt ihr nicht mehr. 1975, am 4. Dezember, stirbt sie in New York. Ein halbes Jahr davor ist sie noch einmal in Deutschland gewesen, in Marbach und Freiburg. Ein letztes Mal den Mann besuchen, von dem sie nicht loskommt: Martin Heidegger.

Service

Hannah Arendt, "Der Liebesbegriff bei Augustin. Versuch einer philosophischen Interpretation", Philo Verlag, ISBN 3825703436

Hannah Arendt, "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft", Piper, ISBN 3492210325

Hannah Arendt, "Vita activa oder Vom tätigen Leben", Piper, ISBN 3492236235

Hannah Arendt, "Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen", Piper, ISBN 3492203086

Hannah Arendt, "Macht und Gewalt", Piper, ISBN 349220001X

Wikipedia - Hannah Arendt
TU Dresden - Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung
Uni Oldenburg - Hannah-Arendt-Zentrum
newschool.edu - Hannah Arendt Center
Hannah Arendt Preis für politisches Denken e.V.
Hannah Arendt.Net