Die am schnellsten wachsende Stadt der USA
Las Vegas
Eine Stadt, die 24 Stunden hell erleuchtet. Millionen von Glühbirnen präsentieren eine unproblematische und somit scheinbar funktionierende Gegenwelt zum amerikanischen Alltag. Las Vegas wächst in alle Himmelsrichtungen und damit seine Auslegung.
8. April 2017, 21:58
"Las Vegas kam schon dumm zur Welt. Der Stadtsoziologe Mike Davis ist sich seines Urteils ziemlich sicher. Alle sieben Todsünden von Los Angeles hätten die Bewohner von Las Vegas wiederholt: Sie verzichten trotz Wasserknappheit weiterhin auf einen nachhaltigen Umgang mit Wasser, sie haben geschwächte Lokalregierungen, die sich der Planung privater Unternehmen unterordnen, sie vernachlässigen den öffentlichen Raum, sie treffen keine Vorkehrungen zur Linderung von Naturkatastrophen und zum Erhalt von Naturlandschaften, sie weiten die Landnutzung unendlich aus, sie haben die Vorherrschaft des Autoverkehrs kritiklos anerkannt, und sie tolerieren extreme soziale Ungleichheiten, insbesondere rassische Diskriminierungen.
Sin City unter Strom
Im Vorjahr, dem 99. Jahr seines Bestehens, zog die Stadt in der Wüste Nevadas 37 Millionen Besucher an und verwies damit erstmals Mekka und Disneyland auf die Plätze. 16 der 21 größten Hotels der Welt befinden sich in Las Vegas, mit dem "Wynn Las Vegas eröffnete heuer das luxuriöseste Hotel, dessen gigantische Errichtungskosten von 2,7 Milliarden Dollar sich bei (Doppel-)Zimmerpreisen von 450 bis 1.700 Dollar bald rentiert haben sollen.
Seit mehr als einem Jahrzehnt schon ist Las Vegas die am schnellsten wachsende Stadt der USA. Fünf bis sechstausend Neuankömmlinge verzeichnet "Sin City pro Monat, Wirtschaftsflüchtlinge aus allen Teilen der USA. In kaum einer anderen Stadt zahlen die Arbeitgeber so gute Löhne wie hier, sodass selbst ungelernte Arbeiter Mittelklasse-Gehälter erreichen können.
Las Vegas steht so richtig unter Strom, seit der Hoover-Damm, nur unweit der Stadtgrenze, Wasser und Strom für Klimaanlagen in die einstige Viehtränke liefert. Tausende Arbeiter ließen ihre Dollars gleich wieder an den Spieltischen und Bars der Stadt liegen. So wuchs Las Vegas von klein auf stetig - zu immer Größerem. 770.000 Menschen lebten 1990 in Las Vegas, heute sind es 1,5 Millionen.
Spielendes Lichtermeer
"Lost Wages hieß das Sündenbabel irgendwo außerhalb des puritanischen Amerikas. Hier hatte der Mob das Sagen, hier soff sich Elvis zu Tode, hier gaben Tom Jones, Sammy Davis Jr. und Frank Sinatra umjubelte Konzerte. Und natürlich entdeckte Hollywood Las Vegas für sich. In Martin Scorseses unvergesslichem Film-Klassiker "Casino spielte sich ein Gangster-Anwalt selbst, heute ist Oscar Goodman Multimillionär und Bürgermeister von Las Vegas.
Bis 1988 war Glücksspiel nur in Nevada und in Atlantic City legal. Doch schrumpfende Steuereinnahmen ließen die Skrupel der Behörden schwinden, heute gibt es in 48 Bundesstaaten eine Form von legalem Glücksspiel. Las Vegas hat die wachsende Konkurrenz nicht geschadet, ganz im Gegenteil. Die Vorort-Casinos in trostlosen Gegenden machen erst so richtig Lust auf das Original. Heute geben die Amerikaner mehr als zweieinhalb Mal so viel für Glücksspiel aus als für Kinokarten, drei Milliarden Dollar mehr als für alle Kosmetik- und Toilette-Artikel.
"Gambling wurde ins harmlos klingende "Gaming umbenannt, Poker und einarmige Banditen sind im Zentrum der amerikanischen Kultur angekommen. Doch Las Vegas lebt längst nicht mehr vom Glücksspiel allein. Mindestens so wichtig ist die Fähigkeit der Stadt, Publicity zu erzeugen.
Scheinwelten
Waren die 1990er Jahre von Themenhotels wie dem "Luxor (in Form einer Pyramide), dem "New York New York (in Form mehrerer an Manhattan erinnernder Hochhäuser), dem "Treasure Island (mit Piratenschiff), dem "Paris Las Vegas (mit einer Eiffelturm-Replik in halber Originalgröße) oder dem "Venetian (mit Rialto-Brücke und Dogenpalast) geprägt, so ist nach der Flucht in andere Welten heute Luxus pur angesagt. Die Erlebnisgesellschaft ist nachdenklicher geworden, an die Stelle von Pappmaché-Kulissen sind echte Materialien und hochwertiges Design getreten.
"De-Disneyfizierung lautet das jüngste ambitionierte Motto in der Spieler-Metropole. Ein Guggenheim Museum hat man nun und auch eine ganze Reihe städtischer Bibliotheken. Kurzum, das vom reinen Sündenpfuhl zum Familienausflugsziel gereifte Las Vegas steht weltweit an der Spitze aller Destinationen. Auch weil Las Vegas langsam zur Konferenzmetropole und somit zu einer ganz normalen Stadt wird.
Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 26. August 2006, 17:05 Uhr
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Links
Wikipedia - Las Vegas
City of Las Vegas