Sind Screening-Programme Gesundheitsvorsorge?
Mammographie
Die Sterblichkeit an Brustkrebs ist in den letzten Jahren gesunken. Ob und inwieweit die mehr als 800.000 Mammographien, die jährlich als Früherkennungsmaßnahme durchgeführt werden, dazu beitragen, wird seit einigen Jahren kontrovers beurteilt.
8. April 2017, 21:58
Vorsorge- und Früherkennungsinitiativen, die viele Frauen erreichen (also Screening-Programme), haben einen hohen, aber häufig unhinterfragten Stellenwert in der Gesundheitsvorsorge. So kann es auch zu skurril anmutenden Entwicklungen kommen. Einer Untersuchung nach unterziehen sich fast 70 Prozent der Frauen in den USA selbst nach einer operativen Gebärmutterentfernung immer noch regelmäßig einer Vorsorgeuntersuchung auf Gebärmutterhalskrebs.
Von solchen Irrtümern abgesehen: Sind Screening-Programme überhaupt Gesundheitsvorsorge? Und: Können Reihenuntersuchungen, also Screening-Programme, Krankheiten und Todesfälle verhindern?
Erschütterte Sicherheit
Bis zum Jahre 2000 galt der Stellenwert der Mammographie als Früherkennungsmaßnahme für Brustkrebs als unumstritten. Die Idee dahinter: Je früher Brustkrebs erkannt wird, desto wahrscheinlicher die Heilungschancen. Einige große Studien untermauerten diesen Ansatz.
Dann erschütterten Peter Gotsche und Ole Olsen vom Nordic Cochrane Center in Kopenhagen mit ihrer Analyse dieser Studien das Vertrauen in die Mammographie gründlich. Ihrer kritischen Betrachtung nach waren nur zwei dieser Studien nicht verzerrt - und eben diese beiden Studien zeigten keinen Nutzen der Mammographie. Seitdem ist die Fachwelt gespalten.
Brustkrebs-Vorsorge?
Seit einigen Jahren gibt es zahlreiche und gut gemeinte Kampagnen zum Thema Brustkrebs. Kaum eine andere Erkrankung ist so angstbesetzt und so stark im Bewusstsein vieler Frauen verankert.
Dabei wird mit den Begriffen "Vorsorge" und "Früherkennung" leider nicht immer sorgfältig umgegangen. Daher glaubt ein erheblicher Anteil der Frauen, dass sie durch die Teilnahme am Mammographie-Screening das Risiko an Brustkrebs zu erkranken, vermindern können. Dabei kann eine Röntgenuntersuchung der Brust eine Krebserkrankung natürlich nicht verhindern, sondern bestenfalls früher darstellen.
Jede neunte Frau betroffen?
Die zahlreichen Aufklärungskampagnen, in denen "harte" Statistik-Daten transportiert werden, haben bei vielen Frauen ein verzerrtes Bild über Häufigkeit von Brustkrebs, Erkrankungsrisiko und dem Wert der Mammographie ergeben. Die Darstellung, "Jede 9. Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs", ist irreführend. Sie bezieht sich auf die Gesamtlebenszeitspanne und gilt nur für Frauen, die das 80. Lebensjahr überhaupt erreicht haben.
Tatsächlich ist Brustkrebs in der Altersgruppe zwischen 30 und 60 nicht so häufig wie von vielen Frauen angenommen. Zwischen 30 bis 40 Jahren beträgt das Risiko etwa 1:283. Von den 60- bis 70-jährigen Frauen erkrankt eine von 43 an Brustkrebs.
Wie treffsicher ist eine Mammographie?
Auch hier ist die Sache wesentlich komplizierter, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Wenn eine Frau Brustkrebs hat, wird das unter günstigen Voraussetzungen durch die Mammographie in mindestens neun von zehn Fällen erkannt.
Allerdings gibt es auch die Kehrseite der nicht erkannten Fälle (falsch-negativ) oder der zu Unrecht auffälligen (falsch-positiv) Befunde. Dabei ist das Hauptproblem, dass Brustkrebs in der untersuchten Altersgruppe bis 60 Jahre doch noch recht selten auftritt. Daher wirken sich die bei der Mammographie nicht vermeidbaren Diagnoseungenauigkeiten stark aus.
So gibt es bei 100 Mammographien zwischen fünf bis acht falsch-positive Ergebnisse. Das heißt, die Mammographie zeigt Verdachtsmomente, die Frau hat aber keinen Brustkrebs. Somit ist die Rate vor allem der falsch-positiven Ergebnisse sehr hoch. Die betroffenen Frauen werden durch einen falsch-positiven Mammographie-Befund unnötig verängstigt, weitere Untersuchungen und evtl. sogar Operationen sind zusammen mit einer Einschränkung der Lebensqualität die Folge.
Kann die Früherkennung Leben retten?
In diesem Zusammenhang wird meist mit der Aussage geworben: "Durch ein flächendeckendes Mammographie-Screening kann die Brustkrebssterblichkeit um 20 bis 30 Prozent gesenkt werden".
Dieser Wert gibt allerdings die relative und nicht die absolute Risiko-Verringerung an. Zur Veranschaulichung: Von 1.000 Frauen sterben in zehn Jahren ohne Mammographie-Screening acht Frauen an Brustkrebs. Mit Screening würden im selben Zeitraum sechs von 1.000 Frauen an Brustkrebs sterben.
Sechs statt acht Frauen sind rechnerisch eine Senkung um 25 Prozent. Allerdings: in absoluten Zahlen ausgedrückt, ist das weniger beeindruckend. Das persönliche Risiko einer Frau, die regelmäßig Mammographien durchführen lässt, verbessert sich um 0,2 Prozent.
Diskutieren Sie mit
Zu diesem Thema hat es anlässlich der Sendung vom 11. November 2005 wie immer bei "Medizin und Gesundheit" die Möglichkeit gegeben, fragen an die anwesenden Expert/innen zu richten, die während der Sendung telefonisch und im Anschluss daran via postings beantwortet wurden.
- Glauben Sie, dass ein flächendeckendes Brustkrebs-Screening die Sterblichkeit die Zahl der Brustkrebstodesfälle tatsächlich senken?
- Welche Alternativen git es Ihrer Meinung nach zur Mammographie?
- Wussten Sie, dass nur etwa jede zehnte Frau, die einen auffälligen Mammographiebefund in Händen hält, auch wirklich an Brustkrebs erkrankt ist?
- Wussten Sie, dass Sie bei zehn Mammographien eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit für einen falsch positiven Befund haben?
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