Free Jazz in Wien

Revolution im Hinterzimmer

Ab den späten 50er Jahren begannen immer mehr Musiker den Regelkanon des traditionellen Jazz aufzubrechen, sich von musikalischen Konventionen zu befreien. Erst langsam setzte sich aber Free Jazz als Überbegriff für diese Entwicklungen durch.

Der Saxofonist Ornette Coleman spielte mit seiner Band 1960 das sozusagen Namens gebende Album ein, die Platte hieß "Free Jazz", also "freier Jazz" oder auch "Befreie den Jazz".

Vielen Rezipienten waren in den frühen 60er Jahren von den neuen Klängen des Free Jazz irritiert, denn erlernte Beurteilungskriterien schienen hier nicht mehr so einfach anwendbar zu sein. Ein Phänomen, das immer dann eintritt, wenn Musik und Klänge plötzlich nicht mehr unseren Hörgewohnheiten entsprechen.

Loslösung von Melodie und Rhythmus

Der Begriff Free Jazz birgt Missverständnispotenzial in sich. Denn keine Improvisation, keine Musik ist jemals wirklich frei, also losgelöst von jeglicher strukturierender Maßnahme, oder auch von kulturellen Erfahrungen der Spielenden und der Hörenden.

Gemeint war mit dem Wort Free ursprünglich wohl einfach die Loslösung der Jazzimprovisation von Melodie- Rhythmus-, Harmonie, Form oder Besetzungsvorgaben. Doch überall in der Welt haben Musiker dabei unterschiedlichste Wege beschritten.

Masters of Unorthodox Jazz

In Wien begann die Geschichte des Free Jazz mit dem Treffen zwei junger Kunststudenten in den 50er Jahren. Die beiden waren selbst zwar keine Musiker, waren aber fest entschlossen trotzdem Musik zu machen. Jazz kannten und liebten sie aus dem Radio.

Sie wollten Musik zu ihren ganz eigenen Bedingungen und innerhalb ihrer Möglichkeiten machen. Der Eine setzte sich ans Klavier, der Andere ans Schlagzeug und gemeinsam versuchten sie zu improvisieren, wie es ihnen gefiel. Ab dem Jahr 1958 wurden die beiden Kunststudenten Walter Malli und Richard Pechoc durch den Jazz Bassisten Anton Michlmayr musikalisch ergänzt.

Das ungewöhnliche Grüppchen wurde später noch komplettiert durch den Fagottisten Horst Brückl, der hauptberuflich in einem Grazer Orchester spielte und einen weiteren bildenden Künstler namens Claus Mayrhofer, der Saxofon spielte. Sie nannten sich Meister des unorthodoxen Jazz - Masters of Unorthodox Jazz und spielten gemeinsam bis ins Jahr 1975.

Reform Art Unit

Ebenfalls zur frühen Wiener Free Jazz Avantgarde gehört die 1965 gegründete Formation Reform Art Unit, eine Band, die seit 40 Jahren auf die so genannte freie Improvisation schwört, immer ohne vorherige Absprache oder Notenmaterial auf die Bühne geht.

Ein gewisses Interesse für das, was man heute als Weltmusik verallgemeinert und für östliche Exotik machte sich bei der Reform Art Unit schon früh bemerkbar: Zum Beispiel war für die Aufnahmen zum Debut Album Darjeeling, das 1970 erschien, der indische Sitar Spieler Ram Chandra Mistri als Gast geladen.

Heute würde sich kaum ein junger Jazzmusiker als Free Jazzer bezeichnen, das befreite Improvisieren ist einfach eine selbstverständliche Möglichkeit unter vielen beim Jazzspielen. Diese Freiheit im Denken verdanken die heutigen Musiker auch der Experimentierlust vieler Musiker in den 50er, 60er und 70er Jahren.

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