Finnisches Nationalepos zum Hören
Mythen unter dem Nordlicht
Das finnische Nationalepos "Kalewala" erlebt zurzeit einen regelrechten Boom, Der Schauspieler Markus Hering hat für das Burgtheater eine deutschsprachige Lesefassung erarbeitet, die jetzt auf vier CDs herausgekommen ist.
8. April 2017, 21:58
Markus Hering liest das "Kalewala".
22.795 Verse in 50 Gesängen enthält Finnlands Nationalepos, das "Kalewala". Das Grundmaterial für diese Sammlung wurde mündlich überliefert. Es findet sich in zahlreichen Volksliedern, die pentatonisch, also auf jeweils fünf Tönen, aufgebaut sind. Diese uralten Lieder haben keine Strophenform und keinen Endreim. Sie bestehen aus paarweise angeordneten Verszeilen, jede mit acht Silben, meist in Stabreimen, mit vielen Textwiederholungen, die das Gesungene eingängig machen - ein alter Trick, den auch Hitproduzenten von heute anwenden.
Zahlreiche Bausteine für ein Ganzes
Aus zahlreichen dieser Lieder machte der finnische Gelehrte Elias Lönnrot in mühseliger Recherchearbeit ein aus zahlreichen Miniaturepen zusammengesetztes Ganzes. In den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts, zu einer Zeit, als das Land Teil des russischen Reichs war, das Finnische eine verächtlich belächelte Bauernsprache und das Schwedische die Amtssprache, sammelte Lönnrot auf mehreren Reisen zahlreiche finnische Volkslieder, Sagen und Märchen, fasste sie zu Zyklen zusammen und verband sie untereinander mit selbst verfassten Versen.
1836 erschien die erste Ausgabe, 15 Jahre später die auf den doppelten Umfang angewachsene Sammlung des "Neuen Kalewala". Für das Volk war dieses Werk identitätsstiftend. 1864 erhielt die finnische Sprache endlich gleichberechtigten Status, wenn auch das Land noch bis 1917 unter russischer Herrschaft blieb.
Das "Kalewala" beschäftigte Komponisten, Maler, Bildhauer und Architekten. Seit zehn Jahren werden immer wieder Weltmeisterschaften im Singen von Kalewala-Liedern abgehalten. An finnischen Schulen ist das Epos Unterrichtsstoff. Ein "Kalewala für Kinder" erzielte in Finnland höhere Verkaufszahlen als Harry Potter.
Gekürzte Lesefassung
Der Schauspieler Markus Hering hat für das Burgtheater eine gekürzte Lesefassung aus der viel gelobten, bei Jung & Jung erschienenen Übersetzung von Gisbert Jänicke erarbeitet, die er bereits mehrfach im ausverkauften Vestibül vorgetragen hat und die nun als Hörbuch angeboten wird.
Um den Magier und Musiker Wäinämöinen dreht sich der Hauptteil des "Kalewala". Er ist es, der das zitherartige Instrument baut, das in Finnland noch heute gespielt wird: die Kantele.
Ein weitere wichtige Figur ist der Schmied Ilmarinen: Er hat nicht nur das ganze Himmelszelt geschmiedet, sondern auch eine Zaubermühle, die Getreide, Salz und Geld mahlen kann, den Sampo. Nach diesem Wundergerät hat sich übrigens Finnlands größte Versicherungsgesellschaft benannt.
CD-Tipp
Markus Hering liest das "Kalewala", vier CDs, Hoanzl 71601-3
Link
Hoanzl - "Kalewala"