Whiteman gegen Österreich

Der Fall Whiteman - Teil 4

Im September hat der österreichische Nationalrat beschlossen, mit den Restitutionszahlungen an rund 20.000 noch lebende jüdische NS-Opfer zu beginnen. Als Grund für die Verzögerung wird die Klage der 1938 emigrierten Wienerin Dorit Whiteman genannt.

Dorit Whiteman wünscht sich persönliche Gerechtigkeit. Jahrzehnte ist es her, dass Gestapo-Leute in die Wohnung ihrer Familie eindrangen und Möbel, Bilder, Geschirr, einfach den gesamten Hausrat mitnahmen. 1938 war Dorit 14 Jahre alt, gemeinsam mit ihrer Familie gelang ihr die Emigration in die USA.

Die Leiden der "Escapees"

Dorit studiert Psychologie und macht sich mit ihren Forschungen über die Traumata derer, denen im Holocaust "nichts passiert ist", den "Escapees", wie Whiteman sie nennt, einen Namen. Eine ihrer Vortragsreisen führt sie auch nach Wien.

Bei einem Spaziergang kommt sie am Dorotheum vorbei und beschließt spontan, nach dem Verbleib ihres Familienvermögens zu fragen, das 1938 dem Dorotheum überantwortet worden war. Der Direktor ist für sie nicht zu sprechen und schickt einen Rechtsanwalt. Dieser behauptet, dass ihre Angelegenheit noch untersucht werde. Nur schwer versteht Dorit, wieso solche Nachforschungen 60 Jahre dauern sollten. Sie sieht in den Erklärungen des Anwalts nur Ausflüchte.

Die Behandlung durch das Dorotheum und dessen zögerliche Aufarbeitung seiner Geschichte verärgern Dorit Whiteman. Die von ihrem Rechtsanwalt Jay R. Fialkoff gegen Österreich eingebrachte Sammelklage im Jahr 2000 kommt für Dorit genau im passenden Augenblick.

"Whiteman against Austria"

Im Fall "Whiteman gegen Österreich" waren 26 Kläger versammelt, die allesamt auf ganz persönliche Weise und aus ihrer Sicht mit österreichischen Täuschungsmanövern und Verzögerungstaktiken konfrontiert worden waren. Und neben dem Vermögen, das man zurückforderte, bezweckte auch Dorit Whiteman mit ihrer Klage vor allem eines: Dass Österreich neben seiner finanziellen auch seine moralische Schuld eingesteht.

Bewusste Verzögerungstaktik

"Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen", antwortet der sozialdemokratische Innenminister Helmer 1946 in einer Ministerratssitzung auf eine Anfrage bezüglich des Umgangs mit jüdischen NS-Opfern. Mit diesem Satz ließen sich, so meinen auch Experten, die ersten 50 Jahre österreichische Restitutionspolitik nach 1945 umschreiben. Grundlage dieser Politik war die anfangs auch international akzeptierte Rolle Österreichs als erstes Opfer des Nationalsozialismus.

Steigender internationaler Druck und die innenpolitischen Diskussionen nach der Waldheim-Affäre hatten in den 1990er Jahren jedoch ein Umdenken in der Restitutionspolitik Österreichs zur Folge.

Viel kritisiertes Washingtoner Abkommen

Das so genannte Washingtoner Abkommen sieht 210 Millionen Dollar für den Allgemeinen Entschädigungsfonds vor. Im Jahre 2001 verständigten sich Repräsentanten Österreichs, der USA, sowie zahlreiche Opferverbände auf diese Gesamtsumme. Österreich verpflichtete sich, an all jene auszuzahlen, denen zwischen 1938 und 1945 von den Nationalsozialisten ihr Hab und Gut geraubt worden war.

Schon kurz nach dem Washingtoner Abkommen wurde die Höhe der Entschädigungszahlungen kritisiert und von einigen Opferanwälten nicht mitunterzeichnet. Federführend war dabei der New Yorker Anwalt Jay R. Fialkoff, Anwalt der "Whiteman-Klage".

Unerfüllbare Rechtsicherheit

Die Bedingung der Republik für die Auszahlungen ist Rechtssicherheit für Österreich an US-amerikanischen Gerichten. Das bedeutet, dass die letzte am 17. Jänner 2001 anhängige Klage mit Präzedenzwirkung abgewiesen werden muss, erklärt Hans Winkler, Völkerrechtsexperte des Bundeskanzleramtes und heute EU-Staatssekretär. Österreich verlangt also, dass alle laufenden Verfahren eingestellt werden.

Für "Whiteman"-Anwalt Fialkoff ist die festgeschriebene Bedingung der Rechtsicherheit unerfüllbar: "Rechtssicherheit besteht erst dann, wenn die Gerichte ein Urteil fällen, dass Klagen abgewiesen werden müssen." Fialkoff kommt zu dem Schluss, dass es sich auch hier wieder um eine Entschuldigung in einer langen Reihe von Entschuldigungen handelt, "und Österreich die Auszahlungen gar nicht leisten will." Die Leittragenden der Verzögerung sind die rund 20.000 jüdischen Opfer, die auf die Auszahlungen aus dem Allgemeinen Entschädigungsfonds warten.

Akonto-Auszahlungen können beginnen

Dorit Whiteman selbst ist das Ganze verständlicherweise sehr unangenehm. Aus den Medien erfuhr sie, dass das "Whiteman"-Verfahren die Auszahlungen aufhält. Seit September 2005 steht nun fest, dass Dorit Whitemans Anwalt Jay R. Fialkoff die Klage zurückziehen wird. Der österreichische Verfassungsausschuss beschloss daher, noch im heurigen Jahr mit Akonto-Auszahlungen an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus' zu beginnen.

Abwarten konnte die Republik Österreich, abwarten konnte auch Anwalt Fialkoff. Doch jene, die auf Entschädigung warten, haben nicht mehr allzu lange Zeit. Dorit Whiteman: "Ich möchte noch atmen, wenn das Geld kommt, und nicht six feet under sein."