Adam Zielinski - Pole, Jude, Österreicher
Der "letzte Galizianer"
Erst mit 60 Jahren ist Adam Zielinski Schriftsteller geworden. Davor war er Arbeiter, Rundfunkredakteur und vor allem ein erfolgreicher Unternehmer. In seinen Erzählungen und Romanen schreibt er u. a. über die Welt seiner Kindheit in Galizien und ihren Untergang.
8. April 2017, 21:58
Erinnerungen an seine Kindheit in Galizien
Adam Zielinski ist ein leidenschaftlicher Erzähler, das merkt man nicht nur seinen Romanen und Erzählungen an, deren Stoff oft aus dem eigenen Leben genommen ist, sondern auch wenn man ihm zuhört. Im Gespräch über sein Leben in seiner Döblinger Dachterrassenwohnung hat man das Gefühl, einem Menschen mit vier Leben gegenüberzusitzen, denn nach Wien kam er erst 1957; aber bevor er hierher gelandet ist, musste er erst einmal den Zweiten Weltkrieg überleben ...
Seine Kindheitsheimat Galizien
"Der Ort, an dem man geboren wird, determiniert, stigmatisiert sogar nachdrücklich Sprache, Tradition, Lebensart, das Denken, Reagieren, den Glauben - kurzum alles!" Mit diesem Satz beginnt sein bekannter Roman "Die Rückkehr", in dem er das wechselvolle Schicksal der galizischen Familie Baltycki durch ein halbes Jahrhundert verfolgt.
Am 22. Juni 1929 im nahezu unbekannten Städtchen Drohobycz südlich von Lemberg geboren, erlebte er eine schöne, aber sehr kurze unbeschwerte Kindheit. Seine Heimat ist für ihn mehr als eine geografische Bezeichnung - es ist eine Lebensform, der er sich verbunden fühlt. Von ihr will er etwas retten - in seiner Literatur und in seinem eigenen Leben.
Vollwaise mit 13
Als Zwölfjähriger musste Zielinski zusehen, wie die Nazis seinen Vater verhafteten. Wenige Tage später wurde der Vater erschossen, und kurz danach verstarb auch seine Mutter, die samt ihrer ganzen Familie ermordet wurde. Mit 13 Jahren war er Vollwaise und ganz auf sich selbst angewiesen.
60 Jahre danach ist der Schriftsteller spürbar bewegt, wenn er erzählt, was er damals erlebt und wie er überlebt hat. Seine Trauer gilt den Eltern und der Familie, aber auch einer Kultur und Lebensform: "In der galizischen Provinz konnte man durchaus Weltbürger sein. Von Russland bis Wien reichten die kulturellen Einflüsse. Opern und Operetten gehörten ebenso zu meiner Kindheit wie Tschaikowski, und dass man neben der polnischen Literatur zumindest auch die russische las, war selbstverständlich. Mit der Okkupation durch Nazi-Deutschland war diese Welt in wenigen Stunden vernichtet", erinnert er sich an damals.
Sein zweites Leben in Krakau
Schriftsteller zu werden, daran konnte Adam Zielinski damals nicht einmal denken. Er brauchte alle Kraft, um zu überleben und sich durchzuschlagen. 1945, als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, befand er sich noch in Lemberg, das mittlerweile zur Sowjetunion gehörte. Die polnischen Behörden beschlossen zu jener Zeit, polnische Staatsbürger aus den sowjetisch gewordenen Gebieten Richtung Westen an die Oder-Neiße-Grenze, die neue Grenze zu Deutschland, zu bringen. Zielinski verschlug es nach Krakau. Dort begann sein zweites Leben.
Er besuchte am Vormittag die Schule und hielt sich mit Gelegenheitsarbeiten am Nachmittag über Wasser. Dass er in Krakau auf Anhieb in das beste Gymnasium aufgenommen wurde, verdankt er seinem Mathematiklehrer in Lemberg, dem er in der Erzählung "Lemberg, Peltewna-Straße ein bewegendes Denkmal gesetzt hat. An der Universität Krakau hat er dann bis 1954 Sozialwissenschaften und Journalistik studiert. Danach schloss er noch in Warschau ein Publizistik-Studium ab - mit einer Diplomarbeit über Indien. Sie war der Anfang seines Interesses für Asien.
Seine Übersiedlung nach Österreich
Bereits ab 1952 arbeitete Zielinski beim polnischen Rundfunk in Krakau. Im so genannten "Polnischen Herbst von 1956 schien zunächst eine gewisse politische Liberalisierung des kommunistischen Systems möglich. Aber erst ein Jahr später konnte er ausreisen; er beschloss, nach Österreich zu übersiedeln, obwohl mehr als zehn Jahre nach Kriegsende sich noch immer die Erfahrungen der Wehrmachtssoldaten mit polnischen Partisanen und die Erinnerungen der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiter in Deutschland und Österreich gegenüberstanden.
In Österreich - so Zielinski - fühlte er sich schnell von verschiedenen Milieus akzeptiert. Auch seine Frau Sophie konnte Fuß fassen - sie hat im Jahr 1960 das Lektorat für die polnische Sprache an der Universität Wien mitbegründet. Gerne erinnert sich Adam Zielinski an viele Gespräche mit Studenten und Interessierten im Familienkreis.
Anders war es im unbekannten Milieu. Wenn man seinen Akzent hörte, kam schnell die Frage, woher er denn stamme und was er hier mache. Fremdenhass und Antisemitismus in Östereich - auch das ist eines der literarischen Themen von Adam Zielinski; es prägt seine Romane "Fluchtpunkt und "Abgründe tun sich auf.
Der erfolgreiche Unternehmer
An der Wiener "EXI AG" arbeitete sich Zielinski vom Arbeiter bis zum Vorstandsmitglied empor. 1961 gründete er schließlich sein eigenes Export-Import-Unternehmen, das vor allem auf Ostasien spezialisiert war. Sein "drittes Leben" begann. Nicht weniger als 138 Mal reiste er nach China, 25 Mal nach Japan, 300 Mal nach Hongkong. Auch diese Länder hinterließen im Buch "Am Lowarei-Pass und andere Reisen" literarische Spuren im Werk Zielinskis.
Wenn Zielinski von China erzählt, gerät er noch immer ins Schwärmen über die pastellfarbige Landschaft, die Reisfelder und glänzenden Wasserflächen, vor allem aber auch über die Pflege der Traditionen. Durch den Ostasienhandel entstanden auch enge Kontakte mit Jugoslawien, die sich ebenso in einem Roman niederschlugen: "Im freien Fall thematisiert das Ende Jugoslawiens. Wann Adam Zielinski bei all dem noch Zeit fand, 1982 in den USA ein Doktoratsstudium der Politologie mit einer Dissertation über die Entwicklung Chinas abzuschließen, wird wohl sein Geheimnis bleiben.
Sein viertes Leben als Schriftsteller
28 Jahre führte Zielinski seine Firma erfolgreich, im Jahr 1989 - er war damals 60 Jahre alt - hat er sie geschlossen. Noch einmal fing er neu an: sein viertes Leben als Schriftsteller. Er spürte die Berufung, von einer Welt zu erzählen, die nicht mehr existiert. 1989, als der Eiserne Vorhang in Europa fiel, war kein schlechtes Jahr, damit zu beginnen. Da war auch Galizien wieder interessant, nicht nur in Österreich. Er hätte vielleicht nicht weiter geschrieben, wenn er nicht Erfolg gehabt hätte, bekennt Adam Zielinski heute. Die Krönung dieses Erfolges, von dem etliche Literaturpreise zeugen, ist die Werkausgabe, die 2004 im Wieser Verlag erschienen ist.
Erzählen kann Adam Zielinski aber nicht nur in seinen Büchern, sondern auch in der eigenen Familie. Er hat einen Sohn, den bekannten Onkologen Christoph Zielinski, und ist dreifacher Großvater. Wenn er heute an die Zukunft denkt, hat er vor allem das neue Europa im Kopf, das zueinander findet. In der Kultur geht ihm das nicht schnell genug. Dass die alte Teilung Europas noch immer in vielen Köpfen spukt, kann er nicht verstehen und hofft, dass im neuen Europa immer mehr Menschen in den so genannten Osten gehen und dort wunderschöne Länder mit kulturellen Traditionen entdecken, die auch Westeuropa bereichern.
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