Schwarze Sklavenhalter

Die bekannte Welt

Die Hauptfigur in Edward P. Jones' außergewöhnlicher Geschichte ist ein Sklavenhalter, allerdings ist er kein Weißer sondern ein Schwarzer. So betrachtet Jones das Thema der Sklaverei von einem differenzierten Blickwinkel heraus.

Gleich zu Beginn des Buches von Edward P. Jones liegt seine Hauptfigur, ein gewisser Henry Townsend, im Sterbebett und hält Bilanz über sein Leben. Ausgedrückt findet sich sein Erfolg in zwei simplen Zahlen: Auf 33 Stück Sklaven und 55 Morgen Land hat er es gebracht, nur wenige Leute im Bezirk besitzen mehr.

Die eigentliche Sensation indes liegt wo anders: Jener Henry Townsend nämlich ist selbst kein Weißer, sondern ein Schwarzer. Schon in jungen Jahren zeigte sich an ihm ein Talent als Schuster. Mit dem Geld, das er - gefördert von seinem weißen Herrn - mit diesen Arbeiten verdiente, kaufte er sich frei und gründete selbst eine Landwirtschaft. Im Laufe der Zeit hat er hierbei immer mehr Sklaven erworben.

Lebendige Geschichten mit Fakten verwoben

Den wenig bekannten historischen Hintergrund entwickelt der Roman dann aus sich selbst heraus. Anders als in vielen, eher missratenen historischen Romanen werden die vom Autor recherchierten Fakten nicht mit dem Vorschlaghammer ihres nackten Vorhandenseins präsentiert, nein: Hier in diesem Buch sind und bleiben sie in lebendige Geschichten eingebunden. So lässt Edward P. Jones beispielsweise, um die entsprechenden Bevölkerungszahlen zu präsentieren, einen - wie es heißt - "gottesfürchtigen" Bundesvollzugsbeamter auftreten. Ob die von jenem Mann erhobenen Zahlen korrekt sind, bleibt ungewiss.

Festgeschrieben steht im Roman jedenfalls Folgendes: Im Jahr 1855 lebten in Manchester County, Virginia, 34 Familien so genannter freier Schwarzer. Acht dieser Familien besaßen ihrerseits Sklaven, wobei die Familienangehörigen in diesen Fällen zum Besitzstand des schwarzen Patriarchen gerechnet wurden. So ergab sich die seltsame Situation, dass die Ehefrau, die Kinder und die Enkel mit dem eigenen Ehemann, Vater oder Großvater nicht nur verwandt waren, sondern ihm auch von Gesetzes wegen gehörten.

Seltsame Familien- und Besitzverhältnisse

In der Lebensgeschichte von Henry Townsend weitet sich jenes leidvoll erfahrene Paradox zum Panorama einer Gesellschaft, die knapp vor dem Zusammenbruch steht. In einem Tableau von mehr als 40 Figuren, deren jede einzelne Kontur gewinnt, nimmt die seltsame Kreuzung aus Familien- und Besitzverhältnissen oft die absurdesten Formen an. Die Pole sind hierbei auf der einen Seite von jenem weißen Herrn markiert, von dem sich Henry Townsend freigekauft hat, auf der anderen Seite des Spektrums stehen die Eltern des schwarzen Sklavenhalters.

Sie haben sich dereinst selbst freigekauft und eine bescheidene Farm erworben, was ihren Sohn indes nicht vor der Sklaverei bewahrte. Als Henry Townsend eines Tages zu ihnen kommt und von seinem ersten Sklaven erzählt, werfen sie in kurzerhand hinaus: Ein Schwarzer soll keine Schwarzen besitzen.

Enttäuschte Hoffnungen

Die ganze Brüchigkeit dieser wackeligen Konstruktionen zeigt sich, nachdem der schwarze Massa - und dies wird von Edward P. Jones beinah biblisch geschildert - am siebenten Tag seiner Bettlägrigkeit stirbt. Seiner Frau gelingt es nicht, die Dinge auf der Plantage im Griff zu behalten. Die Sklaven fliehen - einige werden aufgegriffen und/oder getötet, andere siedeln sich in anderen Bundesstaaten an. Abgesehen von enttäuschten Hoffnungen und erlittenen Schmerzen bleibt vom Lebenswerk des Henry Townsend am Ende nichts übrig.

Aus dem Buch von Edward P. Jones ergibt sich gerade daraus eine durchaus moderne Erkenntnis. Eindrücklich wird aufgezeigt, was es für einen Schwarzen bedeutet, das Leben eines Weißen zu führen; Mitte des 19. Jahrhunderts - so legt "die bekannte Welt" nahe - war es dafür in den amerikanischen Südstaaten noch reichlich früh.

Buch-Tipp
Eward P. Jones, "Die bekannte Welt", aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans-Christian Oeser, Verlag Hoffmann und Campe, ISBN 3455036961