Meister der Verknappung

Fünf Wörter

Es war Hans Magnus Enzensberger, der den serbisch-jüdischen Schriftsteller David Albahari für unsere Breiten entdeckt hat. Jetzt ist der Erzählband "Fünf Wörter" erschienen, eine Sammlung virtuos verknappter Kurzgeschichten.

Die Länge der Geschichten in David Albaharis Erzählband bewegt sich zwischen zwei und 20 Seiten, die fast schon programmatische Erzählung "Fünf Wörter" besteht überhaupt nur aus sechs Zeilen.

Ich kenne viele Wörter, benutze aber nur wenige. Wenn man mich etwas fragt, antworte ich, wenn nicht, schweige ich. Wie viele Wörter braucht der Mensch, um auf eine jede Frage zu antworten? Zwei, drei, höchstens fünf. Man braucht die Wörter "ja", "nein", "vielleicht", "keine Ahnung". Alle anderen sind überflüssig, vor allem, wenn man selbst keine Fragen stellt.

Geschichten voll Schweigen

Albaharis Texte balancieren nah am Verstummen dahin, das Schweigen, die Stille sind stets gegenwärtig in diesen eindrucksvollen Geschichten. Faszinierend liest sich schon der erste Text des Bandes, "Der Schatten". Ein nationalistischer Schriftsteller besucht ein serbisches Städtchen, er mietet sich in einem schäbigen Hotelzimmer ein, absolviert eine Lesung in der lokalen Bücherei, dann wird er von einem jungen Mann angesprochen, der um eine Unterredung unter vier Augen bittet. Die beiden gehen ins Hotelzimmer, dort gibt sich der junge Mann als Sohn einer ehemaligen Geliebten des Autors zu erkennen. Seinet-, also des Schriftstellers wegen, sagt der Bursche, habe die Mutter einst Selbstmord begangen.

Der junge Mann steckte die Hand in die Hosentasche. "Das wollte ich ihnen zeigen", sagte er. Bogdan, der Schriftsteller, senkte den Blick und sah in der Hand des Mannes eine Granate. Er hatte von solchen Handgranaten gelesen: Soldaten brachten sie in den vergangenen Jahren von der Front mit und verkauften sie für wenig Geld. Mit der anderen Hand zog der Jüngling am Sicherungsstift.

Ein effektvoller Schluss: Die Detonation wird nicht mehr geschildert, Leserin und Leser wissen ohnehin, was passieren wird.

Die Isolation der Exilanten

David Albahari erweist sich in seinen Kurzgeschichten als Meister der Zuspitzung, vor allem aber auch: der Auslassung. Paradigmatisch dafür ist die Exilantengeschichte "Die andere Sprache", in der der seit 1994 in Kanada lebende Autor wohl auch eigene Erfahrungen verarbeitet hat.

Ein bosnischer Serbe namens Zoran wandert nach Kanada aus, in die Rocky-Mountains-Metropole Calgary, in der sich, das nur nebenbei, auch Albahari niedergelassen hat. Verzweifelt versucht Zoran, Frauen kennen zu lernen, irgendeine Art von Kontakt zu irgendeinem Menschen in der neuen Heimat zu finden. Vergebens. Immer unerbittlicher verstrickt er sich in Isolation, eine Erfahrung, die viele Emigranten machen.

Sobald er Fremden gegenüberstand, war Zoran einfach nicht imstande, etwas zu sagen, er stotterte, ruderte mit den Armen, und all sein Englisch verwandelte sich in eine klebrige Masse. Die Konsequenz: Er sprach mit niemandem mehr, außer gelegentlich mit sich selbst.

Der Kunstgriff des Ausblendens

Um der Einsamkeit des Exilanten zu entfliehen, schreibt sich Zoran in eine Sprachschule ein. Nicht weiter verwunderlich, dass er sich in Cindy verliebt, die sommersprossige Englischlehrerin mit den netten Lachgrübchen. Eines Tages dringt er in das Haus der Lehrerin ein, klettert er in den Wandschrank neben dem Bett und macht es sich zwischen ihren Kleidern bequem. Nach einiger Zeit kommt die junge Frau nach Hause.

Die Sommersprossen leuchteten im Dunkel wie Sterne, wie Gold, wie feines Glitzern auf Meereswellen. Dann verschwanden sie, und als die Schritte endlich vor der Schranktür Halt machten, war Zoran schon in der Hocke, bereit zum Sprung.

Aus, Ende der Erzählung. Den Rest muss sich der Leser selbst dazudenken. Den Kunstgriff, knapp vor der Klimax einer Story auszublenden, diesen Kunstgriff wendet Albahari immer wieder an in seinen Geschichten - was wesentlich zu ihrer Qualität beiträgt.

Fesselnder Lesestoff

22 Texte versammelt Albaharis Erzählband. Fesselnder Lesestoff. Die besten dieser hoch konzentrierten, aufs Wesentliche zugespitzten Geschichten erinnern an Beckett, an Carver - nein, solche Vergleiche treffen den Kern der Sache nicht. Albahari hat sie auch gar nicht nötig. Der Ruhm dieses Autors wird wachsen, auch in unseren Breiten.

Buch-Tipp
David Albahari, "Fünf Wörter", Eichborn-Verlag, ISBN 382185751