Der türkisch-deutsche Schriftsteller Feridun Zaimoglu
Der Alibi-Ali
In Wien sorgte er im Frühjahr für Aufregung, als er das Museumsquartier mit türkischen Fahnen verhüllte und das ganze "KanakAttack" nannte. Jetzt stellt Feridun Zaimoglu seine sehr eigensinnigen Überlegungen zum Beitritt der Türkei in die EU an.
8. April 2017, 21:58
Renata Schmidtkunz im Gespräch mit Feridun Zaimoglu
Renata Schmidtkunz: Herr Zaimoglu, Sie gelten ja in der deutschsprachigen Literaturszene als ein Sprachrohr der sogenannten Zweiten Generation türkischer Gastarbeiter, die hüben wie drüben entwurzelt sind. Und jetzt dürfen Sie schon seit geraumer Zeit in Ihrer Heimat Deutschland eine heftige Debatte um die Frage mitverfolgen, ob denn die Europäische Union Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnehmen soll. Meine schlichte Frage an Sie: Wie geht's Ihnen dabei?
Feridun Zaimoglu: Ich muss ehrlich sagen, anfangs ging es mir damit gar nicht so gut. Weil man hat mir seltsame Fragen gestellt. Ich war der Vorzeigetürke, ich war der Alibi-Ali, dem man die Frage gestellt hat, wie ein Türke auf die Schnapsidee gekommen ist sich als Deutscher auszugeben. Insofern bin ich das geborene Opfer für zweideutige Fragen.
Es ist ja nicht so, nur weil meine Eltern Türken sind und sich immer noch als Türken verstehen, dass ich jetzt türkische Innenpolitik besonders und aus nächster Nähe betrachte. Aber ich muss zugeben, ich habe die innerdeutsche Debatte, und dann auch die Debatte im deutschsprachigen Raum über die EU-Aufnahme, Beitrittsverhandlungen, über die Europatauglichkeit der Türkei sehr, sehr genau verfolgt. Weil ich dann sehr schnell dahinter gekommen bin, dass es sich hier nicht wirklich um dieses Land handelt, sondern hier werden harte Schranken aufgebaut.
Hier werden Grenzverläufe gezogen. Hier geht es eigentlich nur darum, dass in der Innenpolitik (das gilt übrigens nicht nur für Deutschland und Österreich, sondern auch für Frankreich) Kontinente gegeneinander gestellt werden: "Die Türkei ist der historische Feind. Der historische Feind ist nicht tot und begraben, sondern der Osmane lebt!". Und ich musste wirklich mit einem Grinsen feststellen, dass man den Fremden, den neuen Janitscharen unterstellt hat, sie würden eine Art Camouflage-Politik betreiben. Das heißt sie sind nicht das, was sie vorgeben zu sein.
Wenn die Mehrheit der türkischen Bevölkerung sich klipp und klar für die Europa-Zugehörigkeit ausspricht, dann wird das nicht nur angezweifelt, sondern es wird gesagt: "Das ist die altorientalisch-byzantinische Strategie der Türken. Sie tun nicht das, was sie eigentlich wollen. In Wahrheit möchten sie nur die Europäer aufmischen".
Es war schon recht lustig, all diese Beiträge zu lesen. Aber ich bin dann zu dem Schluss gekommen, es gibt ernsthafte Gründe für und gegen die Aufnahme der Türkei in die EU. Aber alles in allem muss man schon von einer Scheindebatte sprechen, in der die alten Geister herbeigerufen werden.
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