Wenn das Öl zur Neige geht
Vor dem Ende einer Epoche
Vor 20 Jahren noch schien Erdöl endlos zu fließen, heute sind die weltweiten Ölquellen dem Versiegen näher als dem Sprudeln. Der Geologe Colin Campbell kommt daher zum Schluss, dass der Welt in den nächsten Jahren gewaltige Veränderungen bevorstehen.
8. April 2017, 21:58
Als der amerikanische Geologe M. King Hubbert in den 1960er Jahren die Erschöpfung der weltweiten Ölreserven für das Jahr 2000 voraussagte, haben noch alle gelacht. Dass irgendwann nicht mehr genügend Sprit für all die schönen neuen Wagen und Konsumgüter da sein könnte, schien damals schlichtweg lächerlich.
40 Jahre später scheinen sich Hubberts Prognosen nicht nur zu bestätigen, sie finden auch mehr und mehr Widerhall. Colin Campbell etwa, einer der wenigen unabhängigen Geologen, der sich der Erforschung der maximalen weltweiten Ölproduktion verschrieben hat, wird seit Jahren von Banken, Wirtschaftvertretern und Regierungsführern eingeladen, um über Potenzial und Erschöpfung der globalen Ölreserven zu referieren.
Die Hälfte der Reserven ist erschöpft
Was Campbell ihnen erzählt, ist höchst unerfreulich: Die Hälfte der verfügbaren Reserven ist erschöpft. Und nicht nur das. Während wir die ersten 50 Prozent über einen Zeitraum von 150 Jahren verbraucht haben, wird der verbleibende Rest in rund 30 Jahren zu Ende sein. Das liegt vor allem am ständig wachsenden Bedarf, den rasant expandierende Wirtschaftsmärkte wie China und Indien anmelden - sie stellen bereits heute 30 Prozent des weltweiten Ölkonsum.
Wenn der Verbrauch weiterhin so ansteigt wie bisher, warnt deshalb die Internationale Energie Agentur IEA, müssen wir in 30 Jahren rund doppelt so viel Öl produzieren wie heute. Das wird aber nicht möglich sein, sagt Colin Campbell. Er hat selbst lange Jahre für Ölkonzerne gearbeitet und, basierend auf die industrieinternen Daten zur weltweit verfügbaren Ölmenge, eigene, nicht Profit orientierte, Hochrechnungen angestellt. Und die lassen für Campbell nur einen Schluss zu: Wir haben das Ende des Ölzeitalters erreicht.
Colin Campbell im Gespräch
Monika Halkort: Herr Campbell, wie kommt es, dass sich Industrie, Öl produzierende Länder und Geologen so drastisch widersprechen?
Colin Campbell: Die Ölfirmen haben stets weniger Funde bekannt gegeben als sie tatsächlich gemacht haben. Das lag an den strengen Regeln der Börsen, die Firmen dazu brachte, ihre Förderprognosen niedrig anzusetzen und entsprechend der tatsächlichen Produktion nach oben zu revidieren. Die OPEC-Länder dagegen haben ihre Angaben seit den 1980er Jahren stets übertrieben, weil sie um Anteile an der weltweiten Öl-Produktion - die von der OPEC festgelegt werden - konkurrieren. Unterm Strich bedeutet die Vielzahl an widersprüchlichen Daten, mit denen wir operieren, dass man detektivische Fähigkeiten braucht, um zu einer korrekten Einschätzung zu kommen.
Sie haben die verfügbaren Daten genau studiert. Wo stehen wir im Verbrauch bzw. in der Menge der noch verfügbaren Ölreserven?
Was konventionelles Öl betrifft kann man sagen, dass wir die Hälfte dessen, was weltweit gewonnen werden kann, bereits verbraucht haben. Wir steuern also zielsicher auf das Ende des Ölzeitalters zu, das den rasanten Ausbau der Wirtschaft, der Transportwege, der Landwirtschaft und nicht zuletzt die rapide Bevölkerungsexplosion des letzten Jahrhunderts möglich gemacht hat. Durch diese massive Expansion an allen Fronten konnte eine Unmenge an finanziellem Kapital erwirtschaftet werden.
Sie haben errechnet, dass die verfügbaren Ölreserven durchschnittlich um 2,6 Prozent pro Jahr sinken werden, und dass damit der Ölpreis konsequenterweise immer weiter ansteigen wird, bis der weltweite Bedarf zurückgeht. Wenn man sich aber ansieht, wie die globale Wirtschaft heute organisiert ist - die Herstellung von Gütern ist quer über den gesamten Globus verteilt - dann ist ein Rückgang des Bedarfs nicht zu erwarten. Wie wird sich der Anstieg des Ölpreises auf die Weltwirtschaft, aber auch auf unser ganz privates Leben auswirken?
Wir befinden uns in einer nie da gewesenen Situation. Niemals zuvor ist eine lebenswichtige Ressource einfach ausgegangen, ohne dass man eine Alternative dafür hatte. Das Steinzeitalter ist nicht am Niedergang der Steinvorräte zu Ende gegangen, sondern es wurde durch die Entdeckung von Bronze, Eisen und später Stahl abgelöst. Heute dagegen sind wir mit der unabänderlichen Erschöpfung eines natürlichen Rohstoffs konfrontiert. Deshalb können wir die Konsequenzen auch kaum abzuschätzen. Eines aber ist klar: In der Vergangenheit haben die Banken mehr Geld verliehen als sie an Einlagen verbuchen konnten, in dem Vertrauen, dass diese nicht gedeckten Darlehen durch die Profite und Mehreinnahmen der ständig wachsenden Wirtschaft abgedeckt würden. Dieses System hat lange Zeit gut funktioniert, heute aber geht der Rohstoff, der diese massive Expansion und Überschuldung möglich gemacht hat, aus. Das lässt für mich nur einen Schluss zu: Dass die weltweite Verschuldung immer schwächer abgedeckt ist. Wenn aber Banken und Investoren das Vertrauen in die Rückzahlung der weltweiten Darlehen verlieren, dann kommt es zu einem Börsencrash und zu einer weltweiten Rezession.
Herr Campbell, Sie haben auch darauf hingewiesen, dass heute nahezu jedes Unternehmen an der Börse überbewertet ist und dass wirtschaftliches Wachstum wie bisher nicht mehr möglich sein wird. Warum reagiert niemand darauf?
Die Bewertung von Unternehmen an der Börse basiert auf der Annahme, dass wir auch in Zukunft genügend billige Energierohstoffe haben werden. Dass das nicht der Fall sein könnte, darüber denkt keiner nach. Dabei werden die Transportkosten unweigerlich ansteigen, ebenso die Preise für Importe. Wir müssen die Wirtschaft auf lokale und regionale Märkte umstellen, und unsere Infrastruktur und Versorgungswege wieder dörflicher ausrichten. Alle Öl importierenden Länder müssen ihren jährlichen Bedarf um zwei bis drei Prozent reduzieren, um den Rückgang der Ölvorkommen aufzufangen. Damit würde der Ölpreis automatisch sinken und die Profitmacherei der Ölindustrie wäre gestoppt. Vor allem aber würde diese Reduktion es den ärmeren Ländern erlauben, ihre minimalen Bedürfnisse zu leistbaren Preisen abzudecken, und es würde den Konsumenten eindringlich klar machen, dass wir eine Grenze erreicht haben und dass wir unser Verhalten ändern müssen.
Mehr zur Sendung in Ö1 Programm
Mehr zu Erdöl in Alaska in oe1.ORF.at
Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich runterladen.
Links
www.oilcrisis.com - Artikel von Colin Campbell (englisch)
Wespennest - Öl