Es gibt keine Hexen. Oder doch?

Hexenglaube in Afrika

Offiziell sind Hexereianklagen in Afrika nicht möglich. Überhaupt wird das Vokabel "Hexerei" im modernen Afrika ignoriert. Und doch ist sie allgegenwärtig, etwa als regulierendes System in der Familie: Wer mehr hat, muss teilen. Oder wird verhext.

Das Prinzip ist großartig: In der Familie hilft man einander. Die mehr haben geben jenen, die weniger haben. Wer war nicht schon gerührt, als er von dem Mädchen hörte, das ihren Kaugummi für sich und ihre beiden Geschwister in drei gleiche Teile biss? Eine tolle Einstellung, nicht? Aber die Sache hat einen Haken, nämlich die Angst vor der Strafe, vor dem Verhextwerden.

Teilen ist Pflicht

Immer wieder wird von Menschen erzählt, die "es geschafft haben". Die ein wenig Erspartes zur Seite legen konnten oder einen guten Job ergattert oder Anspruch auf eine Rente haben, und die so unvorsichtig waren und sich nicht von der Familie fernhalten konnten. Da wäre zum Beispiel diese Geschichte, die der sambische Journalist Mufalo Liswaniso erzählt:

Dick Mendai, der Minenarbeiter, kehrt nach einem entbehrungsreichen Leben im "Copperbelt" nach Hause ins Dorf zu seiner Familie zurück. Er wird von allen mit kleinen Willkommensgeschenken begrüßt. Und jeder erwartet, dass dieses Geschenk erwidert wird, denn Dick ist ja reich. Er kann ohne Weiteres auf ein Hemd oder auf Sandalen oder eine Münze verzichten. Dick gab reichlich, aber nur denen, die selbst nicht genug hatten. Wenige Wochen nach seiner Heimkehr starb er eines ungeklärten Todes.

So weit die Fakten. Literarisch geht die Geschichte aber weiter, denn einer der weniger Beschenkten erkrankt an einer rätselhaften Schüttellähmung und ruft im Augenblick seines Todes: "Dick Mendai bringt mich um!"

Kannibalistische Sozialbeziehungen

"Es ist besser, nicht zu arbeiten, als zu arbeiten", seufzt Abou, und auf die Frage warum antwortet er: "Weil es auf dasselbe rauskommt." Das erzählt der Schweizer David Signer. Abou, ein junger Unternehmer - er betreibt ein Mini-Telefonamt - wird von seinen Verwandten jeden Tag so nachhaltig ausgenommen, dass er selbst am Ende des Monats, in dem er jeden einzelnen Tag von früh bis spät gearbeitet hat, ohne einen einzigen Groschen dasteht.

Es gibt für ihn keine Möglichkeit, etwas zu sparen, oder weiterzukommen, zu investieren, aber er steckt in der Falle. Verweigert er seiner Familie die verlangte Unterstützung, wird sie im besten Fall seinen Namen so schlecht machen, dass niemand mehr seine Dienste in Anspruch nehmen wird. Im schlechtesten Fall rächen sie sich durch einen kleinen Zauber, denn die Devise ist - und das ist die Kehrseite der Pflicht des Teilens: "Es soll dir nicht besser gehen als mir!"

Vampirische oder sogar "kannibalistische Sozialbeziehungen" nennen die Sozialwissenschafter dieses Faktum. Die treibende Kraft ist zerstörerischer Neid, zum Unterschied von "fruchtbarem" Neid. Letzterer würde dort herrschen, wo jemand, um den Nachbarn mit seinem dreistöckigen Haus zu übertrumpfen, ein vierstöckiges Haus baut. In Afrika würde der Nachbar nicht bauen, sondern fluchen: "Bilde dir bloß nichts ein! Du wirst nicht alt werden in deinem Haus!"

Witch-Doktoren haben Konjunktur

Wie real der Hexenglaube in Afrika mittlerweile wieder ist, zeigen unzählige Berichte über Hexenverfolgungen und über Straftaten im Zusammenhang mit Hexerei, die Konjunktur der so genannten Witch-Doktoren, die verstärkte Jagd auf z. B. Krokodile, deren Fett wesentlicher Bestandteil von Zaubermedizinen ist. Das Projekt Nr. 154.014-03/001 der katholischen Gemeinde "Our Lady of Holy Rosary" bittet bei der Erzdiözese Mwanza im Norden Tansanias um Unterstützung für ein Aufklärungsprogramm gegen Hexenjagd.

Und er bleibt nicht in Afrika, der Glaube an die Hexenkraft: Würde sonst ein europäisches Reisebüro "Voodoo-Heilungsreisen" nach Westafrika anbieten?

Mehr dazu in science.ORF.at

Buch-Tipps
David Signer, "Die Ökonomie der Hexerei oder Warum es in Afrika keine Wolkenkratzer gibt", Edition Trickster im Peter Hammer Verlag, ISBN 3779500175

Eric de Rosny, "Die Augen meiner Ziege. Auf den Spuren afrikanischer Hexer und Heiler", Edition Trickster im Peter Hammer Verlag, ISBN 3872948318