Argentinische Indians verteidigen ihren Lebensraum

Der Überlebenskampf der Wichis

In der Provinz Salta im äußersten Norden Argentiniens versuchen indigene Völker, ihr Leben als Jäger und Sammler weiter zu führen. Doch die Welt der Weißen dringt scheinbar unaufhaltsam vor. Die Überlebenschancen der Wichis stehen schlecht.

Der Kazike José Galarza zur momentanen Situation

Argentinien gilt als Land europäischer Einwanderer. Dass es noch indigene Völker gibt, die fast wie vor 500 Jahren leben, ist selbst vielen Argentiniern nicht bewusst. Ob sie allerdings ihr Leben als Jäger und Sammler weiter führen können, ist ungewiss, denn die weißen Agrarunternehmer dringen scheinbar unaufhaltsam vor.

Zwischen Ignoranz und Unterdrückung

Im Gran Chaco, einem 800.000 Quadratkilometer großen subtropischen Buschwald zwischen den Kordilleren und den großen Flüssen Paraguay und Paraná leben mit den Wichis die letzten Jäger und Sammler Argentiniens. Noch vor hundert Jahren nahm niemand Notiz von ihnen.

Ab 1903 verschenkte die Regierung dann im großen Stil Ländereien an Pioniere aus anderen Landesteilen, die sich in der unwirtlichen Gegend eine Existenz aufbauen wollten. Es galt, die Grenzregion zu Paraguay und Bolivien durch Besiedlung vor Gebietsansprüchen der Nachbarn zu sichern. Die urspünglich ansässige Bevölkerung war den übrigen Staatsbürgern gegenüber nicht gleichberechtigt.

Erst mit einer Verfassungsreform vor elf Jahren wurden die indigenen Völker und ihre Landrechte anerkannt. Mit der Zeit kam es immer mehr zu Unstimmigkeiten, denn die Ansprüche der Ureinwohner stehen im Widerspruch zu den Interessen von Unternehmern und Großgrundbesitzern. Und es kam, wie es kommen musste ...

Der Druck wächst

Mit dem "Kidnapping" eines Fahrzeuges versuchten die Bewohner der Gemeinde Tonono im vergangenen Mai die Einzäunung und Abholzung ihres Lebensraumes zu verhindern. Ein weißer Chevrolet-Pritschenwagen wurde wochenlang von den Bewohnern der Gemeinde bewacht - quasi als Unterpfand für Verhandlungen.

Rein juristisch war die Gemeinde Tonono im Unrecht. Denn die Ländereien in der Gegend des Río Itiyuro sind schon lange in privater Hand. Allerdings war deren kommerzieller Wert gering. Jahrzehnte lang ließen die Grundeigentümer ihre Parzellen brachliegen. Die ansässige Bevölkerung störte sie nicht weiter. Diese Situation hat sich nun schlagartig geändert.

Die Gründe für die Rodungen

Schuld an den großflächigen Abholzungen ist der hohe Weltmarktpreis von Sojabohnen in den letzten Jahren. Er hat bewirkt, dass jetzt auch auf den relativ kargen Böden des Chaco mit Gewinn großflächig angebaut werden kann. Der Busch, der den Indigenen als Nahrungsquelle dient, wird zuerst niedergewalzt und dann abgefackelt. Die meisten Agrarunternehmer holen nicht einmal die Edelhölzer heraus. Das dauere zu lange und sei daher nicht rentabel, sagen sie.

Roberto Cha Usandivaras, ein Mann dessen spanischer Stammbaum sichtlich durch keinen Tropfen indigenen Blutes getrübt ist, fungiert als Vorsitzender des Agrarunternehmerverbandes "Prograno". Er sieht die Abholzungen als Teil einer Entwicklungsstrategie: "Hier in Salta leben drei Prozent der argentinischen Bevölkerung, aber wir tragen nur 1,5 Prozent zum Bruttosozialprodukt bei. Nur zehn Prozent der Fläche sind landwirtschaftlich genutzt - gegenüber 70 bis 80 Prozent im nationalen Durchschnitt. Das zeigt, dass die Entwicklung hier hinterherhinkt".

Zwei Welten

Pablo Frere, der regionale Leiter der Organisation Fundapaz, die sich - unterstützt von europäischen Hilfswerken wie "Misereor" oder "Brot für die Welt", für soziale Entwicklung einsetzt, sieht allerdings auch andere Aspekte: "Die indigenen Völker, die hier seit Tausenden von Jahren leben, hatten natürlich nie gedacht, dass sie Landtitel brauchen oder irgendein Papier, das ihre selbstverständlichen Ansprüche bescheinigt".

Für die Indigenen ist es unvorstellbar, dass jemand sich für den Herrn des Landes hält. Sie haben eine andere Beziehung zum Land. Frere dazu: "Die Wichis selbst betrachten sich als Teil, als Zubehör der Erde, als Kinder vielleicht, aber niemals als Eigentümer, wie wir das tun". Da treffen also zwei Welten aufeinander, die zu verschieden sind, um einander zu verstehen.

Ein Häuptling der Wichis schwer verletzt

Die "Kidnapper" des weißen Chevrolet warteten vergeblich auf den Agrarunternehmer, der ihre Jagdgebiete niederbrennen will. Er kann sich darauf berufen, das Land rechtmäßig erworben zu haben. Also kam er nicht persönlich und suchte auch keinen Dialog. Er schickte die Polizei, die das Fahrzeug am 8. Juli mit Waffengewalt herausholte. Der Kazike (Häuptling) José Galarza, ein kleiner Mann mit tiefen Falten in seinem wettergegerbten Gesicht, verlor dabei fast das Leben. Eine Hand wurde von Schrotmunition zerfetzt, in seinem Körper staken mehrere Gummigeschosse.

Das vorletzte Kapitel

Damit ist das letzte Kapitel im Kampf um den Busch noch nicht geschrieben. Die Wichi haben zwar die Verfassung auf ihrer Seite, doch der Verfassungsgerichtshof in Buenos Aires ist weit weg. Bis sie ihre Ansprüche durchsetzen können, wird ihr Lebensraum vielleicht schon verschwunden sein.

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.