Klon-Saga und Softporno

Die Möglichkeit einer Insel

Michel Houellebecqs Buch ist vieles zugleich: satirische Zeitdiagnose und elegisches Science-Fiction-Epos, Klon-Saga und Softporno. Ein Roman mit Stärken, aber auch mit Schwächen. Den Hype darum nehme man als das, was er ist: Marketing-Gekreisch.

In zarter Überspitzung darf man konstatieren: Houellebecqs jüngstes Opus besitzt die Skandaltauglichkeit eines frühen Jules Verne. Natürlich, der Untergangsprophet aus Paris bemüht sich auch diesmal nach Kräften zu schockieren, mit deftigen Jokes und kaltschnäuzigem Kulturpessimismus, dahinter schimmert aber auch in diesem Buch, wie in Houellebecqs früheren, eine fast schon sentimentale Sehnsucht nach dem Romantischen durch, wie auch der "Spiegel" in seiner Besprechung des neuen Houellebecq-Romans festgestellt hat.

Tiefe Scherze

Michel Houellebecq hat seine Erzählung auf zwei Zeitebenen angesiedelt. Zum einen spielt das Buch in einem satirisch überhöhten Heute, zum anderen bietet Houellebecq düstere Ausblicke in eine Huxley-hafte Zukunft, die von Steinzeit-Barbaren und geklonten Neo-Menschen geprägt ist.

Im Heute macht uns Houellebecq mit "Daniel 1" bekannt, einem erfolgreichen Bühnen-, Film- und Fernsehkomiker, der mit politisch inkorrekten Flapsigkeiten Furore und gutes Geld macht.

Hier einer der Scherze, den ich bei meinen Auftritten häufig angebracht habe: "Weißt du, wie man den Fettkloß nennt, der die Scheide umgibt?" "Nein." "Frau."

Macho-Schmäh als Stilmittel

Obwohl er geschmacklose Knaller dieser Art zum Besten gibt, heimst Houellebecqs Protagonist auch in progressiven Blättern blendende Kritiken ein. Man hält seinen Humor für erfrischend, seine Tabubrüche für aufklärerisch. Als der Komiker schließlich auch mit antiislamischen und antisemitischen Gags zu punkten versucht, setzt es Strafanträge und Morddrohungen. Besseres kann ihm nicht passieren: Tabubruch rechnet sich, auch finanziell.

Houellebecq schreibt mit machistischer Attitüde, man kennt das; findet man dergleichen degoutant, lasse man - oder frau - am besten die Finger von seinen Büchern. Akzeptiert man den Macho-Schmäh des Pariser Provo-Stars aber als Stilmittel, lesen sich Houellebecqs Auslassungen über den Schicki-Micki- und Medienbetrieb von heute hochamüsant.

Tragikomische Liebesgeschichten

Selten hat Houellebecq witziger und mit mehr Drive erzählt als in den beiden tragikomischen Liebesgeschichten, die er seinen Helden Daniel 1 durchleben lässt. Beide Amouren enden traurig, sowohl die zu Isabelle, der intellektuellen Chefredakteurin des Teenagermagazins "Lolita", als auch die zu Esther, einer sinnlichen Film- und Fernsehdiva aus Madrid. Wer die 40, erst recht die 50 überschritten hat, beklagt Houellebecq, wird eben zum Loser auf dem Markt der Liebe und der Lüste. Am Ende wird er, rasend vor Begierde nach der verflossenen Spanierin, freiwillig aus dem Leben scheiden.

Vorher allerdings, und da beginnt der Science-Fiction-Strang des Romans, lässt Houellebecq seinen Helden einer Sekte beitreten, den so genannten Elohim. Die Verheißung, die den Elohim-Jüngern zuteil wird, klingt verlockend: ewige Wiedergeburt durch Klonen.

Die Elohimiten lebten sehr gesund. (...) Alles, was gesund war, und insbesondere alles, was mit Sex zu tun hatte, war erlaubt.

Klon 24 und 25

Houellebecqs Held, Daniel 1, lässt sich klonen. In den entsprechenden Passagen des Romans brilliert Houellebecq als Suspense-Erzähler, der einen spannenden Plot wie sein Landsmann Jules Verne mit technisch-wissenschaftlichen Utopien garniert. In einem zweiten Handlungsstrang kommen nun die Klone des Pariser Brachialhumoristen zu Wort, Daniel 24 und Daniel 25.

Daniels Klone führen ein denkbar trostloses Leben in einer apokalyptischen oder post-apokalyptischen Welt. Ihr Problem: Der wissenschaftliche Fortschritt hat alles weggezüchtet aus ihrer genetischen Grundausstattung, was Leiden schafft - Gefühle vor allem. Lachen, Weinen, Mitleid, Güte, Liebe - alles weggezüchtet. Leider macht das die Neo-Menschen nicht glücklicher. Ihr Leben plätschert eintönig, melancholisch, langweilig dahin.

Grimmige Anti-Utopie

Die Science-fiction-haften Passagen stellen das eigentliche Problem des Houellebecq-Romans dar: So eintönig wie das Leben der Klone kommen auch die Schilderungen ihres Alltags daher. Michel Houellebecq hat eine grimmige Anti-Utopie geschrieben, ein spannendes, über weite Strecken amüsantes Buch mit einigen Längen. Literaturkritische Jubelchoräle sind angesichts dieses Werks ebenso wenig angebracht wie hämische Verrisse. Houellebecq hat einen Roman mit Stärken vorgelegt, aber eben auch mit Schwächen.

Buch-Tipp
Michel Houellebecq, "Die Möglichkeit einer Insel", aus dem Französischen von Uli Wittmann, DuMont Verlag, ISBN 3832179283