Gottfried von Einem

8. April 2017, 21:58

Doris Stoisser: "Das große Rätsel meines Lebens werde ich mit dieser Niederschrift nicht lösen" haben Sie in Ihrer Autobiografie einleitend geschrieben. Was ist das große Rätsel Ihres Lebens?
Gottfried von Einem: Das größte Rätsel ist die Liebe. Und die hab ich zwar erfahren, habe sie auch mitgeteilt - und weiß trotzdem nicht Bescheid! Das hängt natürlich damit zusammen, dass ich einen Beruf habe, der auch nicht genau fixierbar ist, nämlich Komponist.

Was ist Komponist? Die Tatsache, dass ich Noten auf Papier bringe, macht noch nicht den Komponisten aus. Und so ist es auch mit diesem großen Rätsel, dem großen Geheimnis. Ich hab sehr viel geschrieben. Sieben Opern, bedenken Sie, und ich hab 106 Stücke veröffentlicht. Alle sind gedruckt. Alle sind aufgeführt. Und ich weiß trotzdem nicht, um was es geht.

Sie schreiben auch, Sie hätten mit fünf Jahren gewusst, dass Sie Komponist werden wollen. Wie kann ein fünfjähriges Kind wissen, dass es komponieren will?
Ich habe durch den Kopfhörer Musik zum ersten Mal gehört. Das zweite Mal war es die Matthäus-Passion in Hamburg. Und das war ein Erlebnis ohnegleichen! Ich war betrunken von dieser Art der Darstellung des Menschen.

Und ich hatte ein großes Unglück. Wir waren drei Geschwister. Drei Buben. Wir wohnten in einem großen Haus, es gehörte meinen Eltern. Da gab es Hauslehrer, Hausdame, Gärtner, Chauffeur und noch und noch und noch. Aber die Eltern hab ich im Jahr höchstens sechs Wochen gesehen. Und das ist zu wenig. Es mangelte am Streicheln. Und ich glaube fast zu wissen, dass durch diesen Mangel die Notwendigkeit kam, mich mit etwas zu beschäftigen, das das ersetzen könnte. Das ist tatsächlich Musik. Beziehungsweise überhaupt die Kunst - der eine drückt sich aus im Wort, der andere drückt sich aus im Pinselstrich, und ich hab's gemacht mit den Klängen.