Theologische und naturwissenschaftliche Interpretationen

Mit Gott rechnen

In den Naturwissenschaften scheint kein Platz für den Schöpfergott der Bibel zu sein. Seitdem Biowissenschaftler immer genauere Landkarten des Humangenoms zeichnen, wird mehrheitlich geglaubt, dass Menschen durch biologische Bedingungen gesteuert werden.

Wolfhart Pannenberg über die Entstehung der Erde

"Mit Gott rechnen - die Grenzen der Naturwissenschaft und der Theologie". So lautete der Titel der diesjährigen Sommerakademie in Kremsmünster. Diese Grenzen hat unlängst die von Kardinal Schönborn ausgelöste "Darwin-Debatte" aufgezeigt, die zu heftigen Diskussionen führte. In Kremsmünster stand diesmal das Verhältnis dieser beiden Wissenschaften im Mittelpunkt zahlreicher Vorträge und Diskussionen.

Kein Konfliktpotential

Für Christen ist Gott nicht nur "unser Vater im Himmel“, sondern auch Schöpfer der Welt. Die Frage ist: Wie passt dies mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaft zusammen?

Evolutionslehre und Glaube - so Kardinal Schönborn - wären kein grundsätzlicher Widerspruch. Schon Papst Pius XII. habe 1950 in seiner Enzyklika "Humani Generis" darauf hingewiesen, dass die Erörterung des Erklärungsmodells "Evolution" vom Glauben nicht behindert werde, wenn diese Diskussion im Rahmen der naturwissenschaftlichen Methode und ihrer Möglichkeiten verbleibe.

Auch der bedeutende evangelische Theologe Wolfhart Pannenberg ortet kein prinzipielles Konfliktpotential, hat doch auch schon die Bibel im Buch Genesis, das ins sechste od. siebente Jahrhundert. v. Chr. datiert wird, das Wissen der Babylonier um die Welt und das babylonische Weltbild verarbeitet, wie man es im Epos "Enuma Elisch“ findet. Dieser Umgang der Bibel mit dem Naturwissen der Zeit sieht Pannenberg als Vorbild für heutige Theologen.

Wie der Himmel auf die Erde fiel

So skizziert der Mathematiker Rudolf Taschner von der TU Wien die Geschichte der Naturwissenschaft. Die Trennung in die Sphäre der Gestirne und ihrer Harmonie und die unharmonischen irdischen Verhältnisse galten bis zum Ende des Mittelalters, doch dann verschwand die Grenze zwischen den beiden Sphären.

Die Naturwissenschaftler suchten nach Gesetzen, die für das Ganze der Welt gelten. Die Welt sei eine Art Uhrwerk und Gott der Uhrmacher, lautete der Versuch, Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft zu integrieren. Mit einer vollkommen mechanistischen Interpretation fiel dann auch die Vorstellung "Gott“ weg.

Die Erforschung der Gesetzmäßigkeiten der atomaren Welt zeigt jedoch, dass die mechanistischen Gesetze für die Welt der Atome nicht gelten, führt Taschner anhand der Heisenbergschen Unschärferelation aus. In der Welt der Teilchen herrscht der Zufall, genauer, die Wahrscheinlichkeit.

Wer das Buch der Natur lesen will, muss die Sprache der Mathematik beherrschen. In diesem Punkt sind sich der Mathematiker Rudolf Taschner und der Atomphysiker und Einstein-Schüler Walter Thirring vollkommen einig. Dass es genau zu dieser Welt gekommen ist, in der wir heute leben, ist sehr unwahrscheinlich - und genau diesen Umstand sieht Thirring als einen Hinweis auf Gott, den Schöpfer.

Theologische Interpretationen

Bereits im 19. Jahrhundert gab es die ersten Entwürfe von Theologen, die versuchten, die neuen Erkenntnisse der Naturwissenschaft mit der Theologie zu versöhnen. Heute versucht vor allem die Forschergruppe um Sir John Templeton, Parallelen und Unterschiede zwischen Naturwissenschaft und Theologie herauszuarbeiten.

Die methodistische Theologin Catherine Keller von der renommierten Drew University an der amerikanischen Ostküste verfolgt einen ganz anderen Ansatz. Es geht ihr nicht um eine Identität von Naturwissenschaft und Theologie, sondern um einen kreativen Prozess - um eine Resonanz zwischen der Schöpfungsgeschichte der Bibel und der modernen Chaos-Theorie. Denn die Ordnung, die sich nach dem Buch Genesis am Anfang der Welt entfaltet, entsteht nicht aus Nichts.

In Gen 1 heißt es: Die Erde war Tohuwabohu. "Tohu", das heißt soviel wie wild, unbewohnt, und "bohu" ist ein Reimwort darauf, das wahrscheinlich mit dem Namen der kananitischen Göttin der Nacht zusammenhängt.

Die Spuren des anfänglichen Chaos

Auch in dem babylonischen Epos "Enuma Elisch", dessen Wiltbild in die biblische Schöpfungsgeschichte übernommen wurde, finden sich nach Meinung von Catherine Keller die Spuren des anfänglichen Chaos - Hebräisch "Tehom", Wasser der Tiefe: "Im 'Enuma Elisch', das im Militärstaat Babylonien entstanden ist, wird das uranfängliche Chaos durch den jugendlichen Kriegsgott Marduk ermordet. Ein Widerhall davon findet sich auch im Buch Genesis".

Diese Abscheu vor der "Tehom", den weiblichen chaotischen Wassern des Anfangs - Tehomophobie - ist aber nur eine Seite der biblischen Überlieferung. Eine ganz andere, tehomophile Sicht des anfänglichen Chaos finde sich - so Keller - beispielsweise im Psalm 104 oder im Buch Hiob. Da spiele Gott mit dem Ungetüm in den Wassern der See, und Hiob begegne Gott im Wirbelwind - wie das wirbelnde Wasser ein erstklassiges meteorologisches Beispiel für ein komplexes System an der Grenze des Chaos.

Damit steht die Tradition der Negativen Theologie und der Mystik in Resonanz, die von einer "leuchtenden Dunkelheit“, einem "überlichten Dunkel“ spricht: "Die grundlose Tiefe der Wasser des Chaos mit dem dunklen und weiblichen Gesicht nimmt plötzlich den Aspekt der mystischen Unendlichkeit an“.

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