Was heißt hier Generationenvertrag!

Sweet Sixteen

"Sechzehnjähriger verschwand am Geburtstag spurlos", lautete die Zeitungsmeldung. Das ist nur der Anfang, noch weitere Jugendliche verschwinden spurlos und setzen damit Ereignisse in Gang, die die Erwachsenen in große Verwirrung stürzen.

Markus Heuser ist der erste von einer ganzen Reihe von Jugendlichen, die an ihrem 16. Geburtstag plötzlich spurlos verschwinden. Sind sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Handelt es sich um Kidnapping? Man weiß es nicht. Außer ihren Laptops lassen sie alles zurück. Ihre Handys tauchen ein paar Tage später in den Postkästen ahnungsloser Zufallsempfänger auf. Die Teenager bleiben wie vom Erdboden verschluckt. Die Polizei tappt im Dunkeln.

Die Polizei gab gelegentlich eine Pressekonferenz, der zu entnehmen war, dass sie vor dem Phänomen kapituliert hatte. Die Politik suchte nach Beschwichtigungsformeln und Leuten mit Lösungsformeln. Eltern heranwachsender Jugendlicher wurden vor deren Geburtstag unruhig. Dann kamen die T-Shirts im Umlauf. Es waren hellblaue T-Shirts. "Free your Mind" stand vorne drauf, und auf dem Rücken stand "Sweet Sixteen".

Wir kündigen!

Aufgrund einiger Nachrichten auf einer Internet-Homepage ist klar: Die Jugendlichen sind ausgebüchst. Von der Untergrundbewegung "Sweet Sixteen" ist die Rede, die Geruchsanschläge auf öffentliche Gebäude ausführt und möglicherweise kriminell vorgeht. Die Wahrheit ist: Sie haben ihren fernsehsüchtigen Eltern, den unfähigen Lehrern, den selbstsüchtigen Politkern, den verlogenen Medien den Rücken gekehrt und ein klares Statement via World Wide Web verbreitet: Wir spielen nicht mehr mit, lautet die Devise.

Hilf- und ahnungslose Erwachsene

In "Sweet Sixteen" rechnet Birgit Vanderbeke mit der Gesellschaft im Allgemeinen und mit Eltern, Politikern und Journalisten im Besonderen ab. Mit dem Verschwinden der Jugendlichen, die selbst kaum zu Wort kommen, schafft die in Südfrankreich lebende Autorin ein sprachliches Vakuum, das auf die Hilfs- und Ahnungslosigkeit der Autoritäten anspielt: XBox, MP3-Player, Anime, Otakus oder Mangas sind die klischeehaften Schlagwörter, die den Erziehungsberechtigten zur Charakterisierung ihrer Kinder einfallen. Sie kennen weder ihre Träume noch ihre Werte und erfahren erst im Laufe des 140 Seiten starken Buches, wie sehr sie ihre Zöglinge missverstanden und vernachlässigt haben.

Dabei meint die Autorin in einem Interview, dass das "Abhauen" nicht als Flucht im negativen Sinne zu verstehen ist, sondern etwas radikal Demokratisches hat, auch wenn die Jugendlichen in der vorliegenden Prosa nichts davon wissen und dem plötzlich aufkommenden Gerede von der "Aufkündigung des Generationenvertrags", mit einem neuerlichen Antwortschreiben entgegnen:

Es wird einige Leute schocken, fing sie an, aber mehr können wir leider nicht für sie tun, als ihnen ein bisschen auf die Sprünge zu helfen. Von Vertrag zwischen uns und ihnen kann keinstens die Rede sein. Erstens hat den keiner unterschrieben, und zweitens sind wir, falls es noch keiner gemerkt hat, aus dem gesamten Saftladen ausgetreten und kümmern uns um uns selbst.

Die postmoderne Wurzel

Mit einer sprunghaft leichten Sprache umreißt die deutsche Autorin das Umfeld der jugendlichen Ausreißer. Unterbrochen wird der lapidar gehaltene Erzählfluss, wenn Eltern, Behörden oder Moderatoren zu Wort kommen: Ein gespreiztes Amtsdeutsch und philosophisch pädagogische Abfolgerungen erzeugen jene Distanz, die zwischen den Generationen besteht und für das Verschwinden der Teenager verantwortlich ist.

Nebenbei macht sich die Autorin über Erziehungsratgeber, Talk-Shows und hohle Politikerreden lustig. Das ironisch geschriebene Buch, das von Vanderbeke wie ein Krimi erzählt wird, packt das Übel der Gesellschaft an seiner postmodernen Wurzel an: Dort wo eine alternde Gesellschaft einer immer kleineren Gruppe an jungen Leuten gegenüber steht.

Buch-Tipp
Birgit Vanderbeke, "Sweet Sixteen", S. Fischer Verlag, ISBN 3100870263