Kurt Schwertsiks Retzer Jahre
Bleibende Eindrücke aus Kindheitstagen
Sowohl ein besonderes Naturerlebnis als auch bleibende musikalische Eindrücke hatte er in dieser Zeit: Komponist Kurt Schwertsik, Jahrgang 1935, der einen Teil seiner Kriegskindheit in Retz verbrachte. Im Gespräch mit Ö1 blickt er auf diese Jahre zurück.
8. April 2017, 21:58
"Eine meiner schönsten Erinnerungen an Retz ist, dass ich einmal im winterlichen Wald über den Gollitsch - und zwar erstmals ganz allein - gegangen bin. Ich hatte diesen starken Eindruck von Natur und Stille. Obwohl ich gar nicht so ein Naturmensch bin, aber es gibt solche Eindrücke, die einen sehr prägen. Und ich konnte damals in der freien Natur spielen, das war etwas sehr Schönes", erinnert sich Kurt Schwertsik, Jahrgang 1935, einer der bekanntesten österreichischen Komponisten, an seine Jugendjahre von 1943 bis Herbst 1945, die er in Retz verbrachte.
Nach Retz, wohin es familiäre Kontakte gab, floh der damals Achtjährige mit seiner Mutter vor den Bombardements auf Wien, die zu dieser Zeit immer heftiger wurden. Außerdem war hier die Atmosphäre nicht so gedrückt: "Unsere Wiener Nachbarn waren Nazis, die die ganze Umgebung kontrolliert haben. Meine Mutter hat immer den englischen Sender gehört und hatte Angst, dass man etwas durchhören könnte. In Retz wussten die Menschen besser, wer ein Nazi war und wer nicht", blickt Schwertsik, der in einer anti-nazistischen Familie aufwuchs, zurück.
Erstes Streichquartett & Klangeindrücke
Aber auch musikalische Erinnerungen verbindet Kurt Schwertsik mit den Retzer Jugendjahren:
"Es gab damals eine Naziveranstaltung für Kinder, wo das 'Gott erhalte', also das Haydn-Streichquartett mit Variationen gespielt wurde - es war das erste Streichquartett, das ich gehört habe. Und nach dem Krieg fand eine Aufführung der 'Puppenfee' mit einem zusammengestoppelten Salonorchester statt, das zwar ambitioniert, aber etwas falsch gespielt hat. Und das ist ein Klang, den ich bis heute sehr gerne habe."
Quartier in der Rosegger-Gasse
"Gewohnt haben wir damals bei der Frau Fuchs in der Peter-Rosegger-Gasse, gleich beim Fußballplatz. Und neben mir wohnte der Zach, dessen Eltern ein Stoffgeschäft hatten. Und dann war noch der Kaufmannssohn Elmer und der Walcher, der mittlere Sohn des Arztes. Wir sind viel in der Wiese herumgelaufen, haben zusammen gespielt und sind im Sommer gemeinsam baden gegangen", erinnert sich der Komponist an seine damaligen Freunde.
"Demütigend war es, wenn wir zu den Bauern Hamstern gingen, um etwas Schmalz oder ein paar Eier zu bekommen", erzählt Schwertsik über diese Kriegsjahre.
Zu den Dominikanern, nicht zur HJ
"Wichtig war, dass ich von meiner Mutter zu den Dominikanern ministrieren geschickt wurde und nicht zur HJ gehen musste. Ich war damals zwar erst etwa acht Jahre alt, sollte aber schon zur Vorstufe der HJ. Und eine andere starke Erinnerung: Der Prior hatte Redeverbot, weil er angeblich von der Kanzel gepredigt hatte, dass der Nationalsozialismus eine Strafe Gottes ist", denkt er in Dankbarkeit an die Haltung seiner Mutter.
Eine sehr traurige Erinnerung hat Schwertsik an die Zeit des Kriegsendes: "Als ich 1945 erfuhr, dass die Deserteure, ganz junge Burschen, gefangen und zum Erschießen abgeführt wurden, war ich tief erschüttert. Und auch an diese endlosen Flüchtlingszüge nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus Tschechien kamen, kann ich mich noch genau erinnern."
Mit russischem Offizier angefreundet
Auch an die russische Besetzung erinnert sich Kurt Schwertsik: "Uns Kindern bereitete das natürlich nicht solche Sorgen, wie den Erwachsenen. Es wurde dann bei uns in der Villa ein russischer Offizier einquartiert, der hervorragend deutsch sprach. Er hat über Marxismus und Stalinismus gesprochen und ich habe damals sehr viel gelernt."
Und auch ein bleibendes Kunsterlebnis, obzwar von der Familie nicht gerade begeistert aufgenommen, hat er aus dieser Zeit: "Im Kino wurde damals Eisensteins 'Iwan der Schreckliche' gezeigt. Man wollte nicht, dass ich diesen russischen Film sehe. Natürlich habe ich ihn gesehen - und war tief beeindruckt."
Im Herbst 1945 zurück nach Wien
Nach Kriegsende versuchte man in Retz, wieder den regulären Schulbetrieb aufzunehmen. Aber es war nicht einfach, weil die Lehrer nun ausgewechselt wurden. Und so kehrte Kurt Schwertsik im Oktober 1945 mit seiner Mutter wieder nach Wien zurück, wo er dann das Gymnasium besuchte.
Seither war er natürlich wiederholt in Retz, das ihm so vertraut ist. Wann er das letzte Mal war? "Das war anlässlich des 90ers meiner Mutter im Jahr 1997", erzählt Kurt Schwertsik.
"Alles was verbindet, ist zu begrüßen"
"Ich finde die Idee des neuen Festivals sehr schön. Denn Grenzen sind ja immer artifiziell. Die Grenzen heute werden ja so gezogen, weil die Menschen einander nicht mehr verstehen. Früher war es in den Grenzregionen so, dass die Menschen doch etwas die Sprache ihrer Nachbarn verstanden. Vor allem konnten ja die Tschechen deutsch, die Österreicher hatten etwas Schwierigkeiten, weil Tschechisch schwer zu erlernen ist - ich habe es auch einmal versucht. Jedenfalls begrüße ich es sehr, dass es diese Festspiele gibt. Denn alles, was verbindet, ist zu begrüßen", begrüßt Schwertsik diese Initiative.
Eine Hommage an Mozart
Anlässlich seines 70. Geburtstages, den der Komponist und ehemalige Hornist kürzlich feierte, fanden und finden heuer zahlreiche Aufführungen seiner Werke, so u.a. die österreichische Erstaufführung seiner Oper "Katzelmacher", statt. Und Ö1 widmete dem humorvollen Musiker einen Schwerpunkt.
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Derzeit arbeitet Kurt Schwertsik an einem dreisätzigen Stück für kleines Orchester, das anlässlich des Mozart-Jahres im kommenden Jänner im Wiener Konzerthaus uraufgeführt wird.
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Boosey & Hawkes - Kurt Schwertsik
Festival Retz