Die Sozialpsychologin Sophie Freud
Heimat, bist du großer Töchter
Sophie Freud ist 14 Jahre alt, als sie, wie auch ihr Großvater Sigmund, in die Emigration gezwungen wird. 1988, 50 Jahre nach dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland, kehrte sie kurz nach Wien zurück. Damals hat sie mit Peter Huemer gesprochen.
8. April 2017, 21:58
Sophie Freud (24. März 1988)
Peter Huemer: Sophie Freud, 50 Jahre später wird über jene lange verschwiegenen Ereignisse so heftig diskutiert, als wären sie gestern passiert? Ist das nicht absurd?
Sophie Freud: Ja, aber noch absurder ist, dass ich ganz zufällig gerade in diesem Jahr kam und mich überhaupt nicht erinnerte, dass es genau 50 Jahre sind. Als mir mein Bruder schrieb "Gib acht auf den März", hab ich mir gedacht: Was meint er eigentlich? Und dann erst erinnerte ich mich, der Anschluss und der 12. März und all das.
Frau Dr. Freud, wenn man von Verdrängung spricht, österreichischerseits, indem 50 Jahre daran wenig erinnert worden ist. Kann man nicht auch in Ihrem Fall von Verdrängung sprechen?
Ja, das könnte möglich sein. Auch dass ich auch nicht wusste, dass die Vergangenheit in Österreich verdrängt wurde. Ich war sehr erstaunt, dass die ersten Theaterstücke, zu denen ich fast zufällig ging, entweder vom Anschluss handelten, oder über die Kriegsjahre, und dann über Antisemitismus, und dann vorgestern, "Das Abendmahl", und auch "Kein schöner Land".
Sie haben also das österreichische Pflichtprogramm des Frühjahrs 88 sehr gründlich absolviert?
Sogar der "Dr. Bernardi" handelt ja über die Judenfrage. Und da dachte ich mir: Ist das immer so in Österreich, dass jedes Stück über dieses Thema spricht?
Es ist jetzt wohl so, dass es 50 Jahre nicht so war. Wie beurteilen Sie diese Wiederkehr des Verdrängten?
Ich war ja sehr berührt, oder gerührt, dass man zum Beispiel ein Bild von den Straßenreinigungen, die eine besondere schamvolle Erinnerung ist, dass man dieses Bild gewählt hat, das jetzt in den U-Bahnen und überall ein ganzes Monat herumgelegen ist. Ich dachte mir: Die Österreicher, dass die beschlossen haben, dieses schamvolle Bild als Symbol des 50. Geburtstags zu wählen, ist doch eher eine Mutsache.
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