Das lyrische Werk des Nicolas Born
Gedichte
Nach großen Erfolgen in den 1970er Jahren geriet der früh verstorbene Nicolas Born in Vergessenheit. Jetzt hat seine Tochter Katharina sein literarisches Vermächtnis sondiert und seine Gedichte gesammelt herausgegeben.
8. April 2017, 21:58
"Es ist Sonntag"
die Mädchen kräuseln sich und Wolken
ziehen durch die Wohnungen -
wir sitzen auf hohen Balkonen.
Heute lohnt es sich
nicht einzuschlafen
das Licht geht langsam über in etwas
Bläuliches
das sich still auf die Köpfe legt
hier und da fällt einer
zusehends ab
die anderen nehmen sich
zusammen
Diese Dunkelheit mitten im Grünen
dieses Tun und Stillsitzen
dieses alles ist
der Beweis für etwas anderes
Dieses Gedicht, das von Mädchen und Wolken und Balkonen erzählt und doch keine sorglose Feiertagsidylle beschreibt, vielmehr eine Situation zwischen "Tun und Stillsitzen", zwischen "blauer Stunde" und Polizeiblaulicht, ist ein Gedicht von Nicolas Born, erstmals veröffentlicht in dem 1972 erschienenen Band "Das Auge des Entdeckers".
Politisches Engagement
Nicolas Born, geboren 1937 in Duisburg und aufgewachsen am Niederrhein arbeitete zunächst als Chemigraf, entdeckte aber schon früh seine Liebe zur Literatur. 1963 folgte er einer Einladung des Literarischen Colloquiums und zog nach Berlin, später nahm er an Tagungen der "Gruppe 47" teil.
Er hatte etwas von einem Bohemien, von einem "Bruder Leichtfuß", wie seine Freunde sagen, zu denen unter anderem Rolf-Dieter Brinkmann und Peter Handke gehörten.
Als junger Intellektueller aus der Unterschicht ohne akademische Vorbildung war Klaus Born, wie er zunächst hieß, am Alltag interessiert. Er trat früh in die SPD ein, engagierte sich in der Anti-Atomkraft-Bewegung und setzte sich, wie seine Texte zeigen, immer wieder mit Politik auseinander, mit Konsumverhalten, mit Fortschrittsglauben und Umweltzerstörung.
Am Anfang spröde
In den frühen Gedichten sind es immer wieder scheinbare Nebensächlichkeiten aus seiner unmittelbaren Umgebung, die Born aufgreift und in Texten präsentiert, die, wie der Autor sagt, "roh, jedenfalls nicht geglättet" sein sollen und die eine karge, spröde Stimmung vermitteln. Später wird die Auseinandersetzung mit politischen Themen vorherrschend, ohne dass Born zum dezidiert politischen Schriftsteller geworden wäre. Schließlich entstehen Anfang der 70er Jahre auch utopische Gedichte - offen für Träume, Sehnsüchte, Glücksmomente.
Sind die Tatsachen nicht quälend und langweilig?
Ist es nicht besser drei Wünsche zu haben
unter der Bedingung daß sie allen erfüllt werden?
Ich wünsche ein Leben ohne große Pausen
in denen die Wände nach Projektilen abgesucht werden
ein Leben das nicht heruntergeblättert wird von Kassierern.
Ich wünsche ein Buch in das ihr alle vorn hineingehen und hinten herauskommen könnt.
Und ich möchte nicht vergessen daß es schöner ist
dich zu lieben als dich nicht zu lieben
Erfolg auch als Romancier
In den 70er Jahren avancierte Nicolas Born zum viel gelesenen, viel besprochenen und viel gelobten Schriftsteller der jüngeren Generation, sein Verleger Ledig-Rowohlt sprach von einem "werdenden deutschen Camus". Erfolg hatte er nicht nur mit dem Roman "Die erdabgewandte Seite der Geschichte", großen Erfolg hatte er vor allem auch mit den Gedichten. Ernüchterung über die gesellschaftliche Realität machte sich da breit und schlug sich nieder in Texten, in denen vom "Geldharnisch" die Rede ist und vom "Datenungeheuer" (wie in "Keiner für sich, alle für niemand" oder "Entsorgt"), von "maskierter Lebendigkeit" und "betonierten Seelen".
Seine letzten Lebensjahre verbrachte Born in der Provinz. Nur noch sporadisch entstanden Gedichte. Born, gezeichnet von einer schweren Krebserkrankung, konzentrierte sich auf die Arbeit an seinem Roman "Die Fälschung", der kurz vor seinem Tod erschien. Im Dezember 1979, kurz vor seinem 42. Geburtstag, starb Nicolas Born. Zu seiner Hinterlassenschaft zählt ein alter Schrank mit Zeitungsausschnitten, Briefen und Manuskripten, der lange Zeit ungeöffnet blieb.
Gelegenheit zur Wiederbegegnung
25 Jahre nach dem Tod von Nicolas Born hat seine Tochter Katharina, die, als ihr Vater starb, sechs Jahre alt war, den alten Schrank geöffnet und Borns literarisches Vermächtnis sondiert. Der von ihr jetzt herausgebrachte Gedichtband ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, einem Autor wieder zu begegnen, der literarisch Interessierten vielleicht als Romancier ein Begriff, der als Lyriker aber erst wieder zu entdecken ist.
Buch-Tipp
Nicolas Born, "Gedichte", herausgegeben von Katharina Born, Wallstein Verlag, ISBN 3892448248